Beschreibung
Valerie hat ganz gut gelebt, und so langsam schaut sie den Wirren der Liebe gelassen entgegen. Ganz anders ihr jugendliches Spiegelbild Luca: Er hat noch alles vor sich, was sie schon hinter sich hat. Die Frage, wie Liebe und Sex ein Leben prägen, bringt die beiden in einem besonders dramatischen Moment zusammen.
Autorenportrait
Simone Meier, geboren 1970, ist Autorin und Journalistin. Nach einem Studium der Germanistik, Amerikanistik und Kunstgeschichte arbeitet sie als Kulturredakteurin, erst bei der WochenZeitung, dann beim Tages-Anzeiger, seit 2014 bei watson. Sie hat diverse Preise und Stipendien gewonnen. Bei Kein & Aber erschienen ihre Romane Fleisch und Kuss. Zudem ist sie Mitherausgeberin von Hemingways sexy Beine, dem Buch zu #dichterdran, was in Windeseile um die Welt ging. Simone Meier lebt und schreibt in Zürich.
Leseprobe
1 früher Dallas war nicht Dallas. Valerie entdeckte keine Ranch, keine Öltürme, nicht einmal Wolkenkratzer. Jedenfalls nicht hier, nicht vom Flughafen aus gesehen, der war wie jeder andere, aus Glas, aus Beton. Beim Anflug hatte sie sich den Airport aufregend vorgestellt, mit alerten Entscheidungsträgern auf dem Weg zu Millionengeschäften, stattdessen traf sie auf Menschen, die zu gebrechlich, dick oder müde waren und sich auf Karren durch die Gänge fahren ließen. Doch sie war das gewohnt: Dass sie eine genaue Idee hatte von der Welt und dass die Welt nicht daran dachte, sich danach zu richten. Dallas zum Beispiel war für sie weit mehr als ein Transitbereich auf einem Flug zu einem alten Freund. Dallas war ein magisches Wort, das für sie auf ewig mit der Fernsehserie verschmolz, die sie in ihrer Jugend nie hatte sehen dürfen. All ihr Wissen darüber hatte sie damals aus den Schnipseln der Programmzeitschrift gesogen, es ging, so viel hatte sie begriffen, um Körper und Konzerne im Zeichen der Gier. Dallas lief immer dienstags. Und mittwochs redeten auf dem Schulhof alle darüber, nur sie nicht. Die Schmach der Ahnungslosigkeit saß tief, und sie schwor sich, in einer nicht mehr fernen Zukunft, wenn sie unabhängig und erwachsen wäre, so viele Dinge wie möglich als Erste zu wissen. Vor allen anderen. Sie wusste bloß noch nicht, wie. 'Ich finde, du gleichst Sue Ellen!', hatte eine aus ihrer Klasse gesagt. Sue Ellen also. Die Gattin des Serien-Bösewichts. Verlebt, verbittert. Ständig betrunken. Valerie hielt die ausgerissene Seite der Programmzeitschrift mit Sue Ellen neben ihren Spiegel und suchte nach Ähnlichkeiten. Es mussten die Augen sein: zwei gefräßige Löcher. Und die Haare: gestuft und nach außen geföhnt. Wenig später ließ sie sich eine Dauerwelle legen und glich einem explodierten Schaf. Die Prozedur dauerte mehrere Stunden, und sie blätterte sich unter der heißen Trockenhaube durch all die Magazine, die in ihrer ganzen Verwandtschaft nur eine einzige Tante zur Hand nahm. Die Tante las auch Bücher, in denen alles, besonders das Fleischliche, handfest benannt wurde, und wenn Valerie krank war, brachte sie ihr einen Stapel vorbei, und das war noch besser als die Cola, die sie literweise gegen Darmgrippe trinken durfte. Die Friseurinnen-Magazine hießen irgendwas mit Frau und Herz und Glück und waren wie die Bravo, bloß für Erwachsene, aber auch die Bravo durfte sie nicht nach Hause mitbringen. Keine ihrer Freundinnen durfte das. Gemeinsam verschlangen sie in der feuchten Heimlichkeit der Turnhallengarderobe Berichte über Nena oder Nino de Angelo und beugten sich über Starschnitte. Strichen sich stinkende Creme auf die Beine und lasen einander beim Warten auf seidenglatt enthaarte Haut die Doktor-Sommer-Kolumnen und den Fortsetzungsroman Die Rauschgift-Falle vor: Ein Boy namens Jochen und ein Girl namens Vanessa waren in die Fänge düsterer Dealer geraten und wenn Jochen sich nicht als Drogenkurier betätigte, würden sie Vanessas Gesicht mit Säure entstellen. Hatten Jochen, Vanessa und die Liebe eine Chance? Valerie dachte sich, dass es ein schlüpfriger Spaß sein müsse, so etwas zu schreiben. Sie träumte von einem Jungen, der aussah wie Jochen, in Mathe saßen sie nebeneinander, er wusste, dass sie auf ihn stand, und hatte ihr einen Zettel zugesteckt: 'Vergiss es, ich geh nicht mit dir. Deine Haare sehen aus, als hättest du in die Steckdose gegriffen.' Die Dauerwelle blieb eine kurze Phase. Als Nena ihre 99 Luftballons steigen ließ, war Valerie sechzehn, und die Tage zwischen Schule, Pizzeria und dem Irish Pub beim Bahnhof wurden ihr lang. Sie schluckte ein Abführmittel gegen ein paar in der Pizzeria angefutterte Pfunde, schlich sich nachts von Darmkrämpfen geplagt am Schlafzimmer der Eltern vorbei aufs Klo, nahm dennoch nicht ab. Beschloss, sich so zu akzeptieren, wie sie war, schließlich riet auch die Bravo dazu: In jedem Girl steckt ein Schwan! Es fiel ihr schwerer als gedacht, w