Beschreibung
Als bei Hanne in Berlin das Telefon klingelt, ahnt sie, was kommt. Ihr Vater liegt im Sterben. 'Da kann man einmal sehen', hat der Gesundheitsfanatiker immer mit Genugtuung gesagt, wenn es andere erwischte. Nun leidet er selbst an Darmkrebs im Endstadium. 'Da kann man einmal sehen', würde Hanne jetzt gern zu ihrem Vater sagen. Alle hat er mit seinem Bio-Wahn und Reinlichkeitsfimmel terrorisiert, die Familie zu einer Sekte gemacht - in einer Zeit, als Gemüseraffel und Demeter noch längst kein Mainstream waren. Aber soll Hanne es ihm jetzt wirklich heimzahlen? Am Sterbebett erinnert sie sich an ihr Erwachsenwerden jenseits des väterlichen Diktats, an ihren Sommer als Mother's Help in London, an das Erwachen und Auskosten einer wilden Freiheit. Als sie zufällig eine Mappe mit alten Zeichnungen entdeckt, leuchtet plötzlich eine völlig unbekannte Seite dieses pedantischen Vaters auf. Hatte auch er einmal einen Freiheitstraum? Wo ist der hin? Gesund genug ist ein Roman über eine 'bio-dynamische' Radikalisierung und das Scheitern am eigenen Anspruch. Ursula Fricker erzählt berührend von den letzten Geheimnissen zwischen einer Tochter und ihrem Vater.
Autorenportrait
Ursula Fricker, 1965 in Schaffhausen geboren, studierte Sozialarbeit in Bern, arbeitete in einem Heim für geistig behinderte Menschen und in der Theaterpädagogik. Sie hat bisher vier Romane veröffentlicht. Auf ihr viel beachtetes Debüt Fliehende Wasser (2004) folgten Das letzte Bild (2009), Außer sich (2012), nominiert für den Schweizer Buchpreis, und Lügen von gestern und heute (2016). Mit Gesund genug war sie Finalistin des Alfred-Döblin-Preises 2021; für das Manuskript erhielt sie ein »Arbeitspaket«-Stipendium des Landes Brandenburg. Im Herbst 2022 wurde sie mit dem Georg Fischer Kulturpreis der Stadt Schaffhausen ausgezeichnet. Ursula Fricker lebt in der Märkischen Schweiz in der Nähe von Berlin.
Leseprobe
'Dann hörte er auf, den Apfel bloß anzustarren, und nahm das Messer. Hast du ein Schälchen? Ich holte meine Kaffeeschüssel aus dem Schrank. Er drehte sie um und begann, die Klinge zu schleifen. Immer wieder prüfte er die Schneide, indem er sie sich quer über den Daumen strich. So, sagte er befriedigt, als ihm die Schärfe endlich gefiel. Ich staunte. Und erinnerte mich dunkel an einen Mann, der alles konnte und wusste. An einen Vater, den ich maßlos bewunderte. Er lächelte mich an. Du machst es schon recht, sagte er leise.'