Es gibt auch gute Tage. Das sind die Markttage, an denen die Händler zum Schluss ihre Waren umsonst verteilen. Eine Kiste überreifer Erdbeeren. Oder die Bananen mit braunen Flecken. Und dann gibt es auch noch die letzten kalten Rostbratwürste vom Grill und dazu trockenes Brot. An den guten Tagen sitzen Kosmos und Neuner abends am Fluss. Sie sitzen da, wo der Sandstrand ist, da, wo die kleinen Feuer brennen. Treibholzfeuer. Etwas weiter weg sitzen die andern. Glatzenpeer und Mundharmonikajonny, die rote Ilse und Hein Schoop mit dem Glasauge. Aber mit denen will Kosmos nichts zu tun haben. Das sind die Penner, die Kampftrinker, die Brückenschläfer, die Strandpiraten. "Da gehör&39;n wir nicht zu, Neuner. Wir nicht!", sagt Kosmos. Zwischen ihnen steht die Kiste mit den überrei-fen Erdbeeren. Und die Plastiktüten liegen da. Zwei Plastiktüten, prallvoll mit allem, was Kosmos gehört. Kosmos hütet die Tüten wie seinen Augapfel. Niemand darf hineinschauen, auch Neuner nicht. "Pfoten weg, Kleiner!", sagt Kosmos. "Das ist Privateigentum!" Und Neuner bewundert Kosmos, weil der schon erwachsen ist und weil er eine Red-Socks-Baseballkappe trägt und weil er immer durchkommt, so oder so. Kosmos ist stark. Kosmos kennt sich aus. Auf Kosmos kann man sich verlassen, obwohl man ihm das nicht ansieht, denn er ist ein bisschen zu dünn und zu klein geraten. Nur die Augen nicht. Seine Augen sind groß und schwarz und weise, ein bisschen wie Krähenaugen, und wenn er wütend ist, kann Kosmos mit diesen Augen Blitze abschicken, dann traut sich niemand, ihn anzufassen. Auch Glatzenpeer nicht. Kosmos ist schon immer unterwegs. Wenigstens sagt er das. Und eigentlich kann Neuner sich auch gar nichts anderes vorstellen. Kosmos weiß alles. Kosmos ist eben Kosmos. Bei Neuner ist das anders. Neuner ist erst neun. Neuner hat meistens kalte Füße. Neuner duckt sich weg. Das Einzige, was Neuner gut kann, ist balancieren, balancieren und klettern. Neuner ist ein Fassadenkletterer. Das hat er geübt. Früher, vor einer Woche noch. Mama hat immer das Fenster offen gelassen, heimlich, die ganze Nacht lang hat sie das Fenster offen gelassen. Damit Neuner einsteigen konnte, wenn alle schliefen. "Du musst ihm aus dem Weg gehen", hat Mama gesagt. "Am besten, du kommst erst nachts. Nachts schläft er, dann kann er dir nichts tun. Ich lass das Fenster auf", hat Mama gesagt. "Ich stell dir dein Essen auf den Küchentisch. Und du musst leise sein, verstehst du? Mach dich einfach unsichtbar, dann passiert dir nichts." Aber dann ist Mama was passiert und sie haben sie weggebracht mit dem Blaulichtwagen. Und jetzt ist das Fenster zu. Neuner kommt nicht mehr rein. Und das Essen steht auch nicht mehr auf dem Küchentisch. Schon acht Tage nicht mehr.
Da war Neuner zum ersten Mal ganz allein. Ganz allein auf der Straße, ganz allein in der Stadt, auch nachts. Und hätte er Kosmos nicht getroffen, er hätte keine Chance gehabt. "Du kuckst wie einer, der abgehauen ist, und du gehst wie einer, der erwischt werden will." "Woher willst&39;n das wissen?" "Und wenn dich einer von hinten anquatscht, darfst du nicht zusammenzucken. Man dreht sich langsam um. Und jetzt lass mich in Ruhe!" Und dann war Kosmos weitergegangen. Aber nach zehn Schritten war Neuner hinterhergelaufen. "Warte doch! Warte auf mich! Wo willst du denn hin?" Und Kosmos hatte so getan, als würde er nichts hören. "Ich will ans Meer!" Und Kosmos hatte immer noch so getan, als würde er nichts hören. "Am Meer ist es warm!", hatte Neuner gerufen. "Am Meer ist Sommer. Am Meer gibt es Häuser, die stehen leer... wir könnten zusammen ans Meer..." Plötzlich war Kosmos stehen geblieben und sah aus wie einer, der genau weiß, wie man ans Meer kommt. "Zusammen ans Meer ...