Beschreibung
Dieses Buch beschäftigt sich mit dem, was Menschen am eigenen Leibe spüren. Der große Phänomenbezirk des leiblichen Befindens ist bisher vernachlässigt gewesen, weil er sich nicht dem dualistischen Denkschema fügt, das die menschliche Natur auf Körper und Seele verteilt. Weder gibt es schon eine genügende Definition des Leiblichen (im Unterschied vom Körperlichen und Seelischen) noch eine Kategorialanalyse des leiblichen Befindens. Dieses Buch will solche Lücken zu füllen versuchen. Mithilfe eines Kategoriensystems der Leiblichkeit wird eine Fülle leiblicher Regungen begrifflich rekonstruiert. dazugehörige Analysen betreffen u. a. Schreck, Angst und Schmerz, Traum und Erwachen, Ein- und Ausatmen, Wollust, Hunger, Durst, Ekel, Frische, Müdigkeit. Auch die Techniken der Leibbemeisterung in östlicher Mystik (Zen, Yoga, Hesychasmus u. a.) werden erörtert. Die Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse wird wahrgenommen. Medizinische Fragen und der Problemkreis der Grausamkeit werden behandelt. Die Methode ist phänomenologisch mit beständiger Beobachtung der Psychologie, Psychotherapie und Religionsgeschichte. Einen großen Teil des Buches füllt der Rückblick auf die Geschichte der Verdeckung und Entdeckung des Leibes. Es wird gezeigt, dass Homer menschliches Erleben primär als leibliches Betroffensein versteht. Die Ausbildung des psychosomatischen Dualismus bis zu Platon und Aristoteles verstellt die leiblichen Phänomene. die Motive dieser Entwicklung werden aufgedeckt. Erstmals wird die stoische Tonoslehre mit ihren Erneuerungen bis zu Kant und zur Romantik als verkapptes Hineindeuten eigenleiblicher Erfahrungen in die Natur gewürdigt. Die christliche Auseinandersetzung mit den leiblichen Phänomenen wird berührt. dabei rückt die Anthropologie des Apostels Paulus als prädualistischer Archaismus in die Nähe der homerischen. Aus der Neuzeit werden u. a. die Kabbala, J. Boehme, Oetinger, Kant, die Romantiker, Maine de Biran und aus dem 20. Jahrhundert u. a. Scheler und Sartre besprochen. Die Anwendung der Phänomenologie der Leiblichkeit auf Fragen der Ästhetik und Kunstwissenschaft bleibt dem unter dem Titel Der Leib im Spiegel der Kunst erschienen 2. Teil dieses Bandes vorbehalten.
Autorenportrait
Hermann Schmitz, geb. 1928 in Leipzig, promoviert 1955, habilitiert für Philosophie 1958; 1971 bis 1993 ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Kiel. Begründer der Neuen Phänomenologie. Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze. Zuletzt im Verlag Karl Alber erschienen sind: "Phänomenologie der Zeit" (2014), "Gibt es die Welt?" (2014), "Atmosphären" (2014), selbst sein (2015), "Ausgrabungen zum wirklichen Leben" (2016), "Epigenese der Person" (2017), "Wozu philosophieren?" (2018). 2011 gab Hans Werhahn den Gesprächsband "Neue Phänomenologie. Hermann Schmitz im Gespräch" heraus.