Beschreibung
Anders als du denkst, ist es oft, wenn es um Liebe und Sex geht. Die zwölf Geschichten in diesem Buch nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn es um Selbstbefriedigung, Schwulsein, verbotene Träume, Liebe zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Behinderten und Nichtbehinderten und den Umgang mit AIDS geht. Sie erzählen offen von 1001 Liebe, und davon, zu genießen, ohne sich von anderen verrückt machen zu lassen.
Autorenportrait
Lutz van Dijk, Dr.phil., geboren 1955 in Berlin, war Lehrer in Hamburg und später Mitarbeiter des Anne Frank Hauses in Amsterdam, seit 2001 lebt er als Schriftsteller und Mitbegründer der südafrikanischen Stiftung HOKISA (www.hokisa.co.za) für von HIV/Aids betroffene Kinder und Jugendliche in Kapstadt. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und erhielten zahlreiche internationale Auszeichnungen (so in Deutschland u.a. 2001 den Gustav-Heinemann-Friedenspreis und 2009 die Poetik-Professur 2009 der Universität Oldenburg). In Deutschland und anderen Ländern sind seine allgemein verständlichen historischen Bücher bekannt, u.a. die "Geschichte der Juden" und seine "Geschichte Afrikas". Zum Thema Tod und Sterben für jugendliche Leser erschien der Band mit Kurzgeschichten "Leben bis zuletzt" (2007).
Leseprobe
Zuerst spürte ich seinen angenehmen Geruch, irgendein leichtes Rasierwasser. Dann hörte ich ab und zu ein leises Scharren seiner Füße auf dem Kiesweg. Vom Klang her vermutete ich, dass er Schuhe mit Gummisohlen, vielleicht Turnschuhe, trug. Ich hatte eine dunkle Sonnenbrille auf und tat so, als wäre ich in Gedanken versunken. Dabei waren ganz im Gegenteil alle meine Sinne auf das Äußerste gespannt. Wer war der Mensch in meiner Nähe, der eine so andere Ausstrahlung als all die anderen Gäste auf mich hatte? Nur einen Moment später, der mir jedoch wie eine halbe Ewigkeit erschien, kam er so dicht heran, dass ich meinte seinen Atem zu spüren. Offensichtlich hatte er sich zu mir hinuntergebeugt. Jetzt vernahm ich zum ersten Mal seine Stimme: »Willst du was trinken?« Was für eine Stimme! Er schien nicht viel älter als ich zu sein, hatte aber den Stimmbruch schon deutlich hinter sich - ein tiefer, ruhiger und doch jungenhafter Klang. Ich hatte ihn genau verstanden. Und doch - ich wollte genau diesen Klang und diese Worte um alles in der Welt noch einmal hören. »Wie bitte?«, fragte ich so harmlos wie möglich und sah in seine Richtung. Mutter hatte mir mehrfach versichert, dass die Gläser meiner Sonnenbrille so dunkel waren, dass niemand, der nicht etwas wusste, erkennen konnte, was mit mir los war. . »Du heißt Hannah?«, fragte er nach einer kleinen Pause. Ich nickte. Er roch wirklich unglaublich gut. Ich war jetzt sicher, dass es sein Rasierwasser war, vielleicht auch zusätzlich noch etwas Geruch seines Körpers, aber kein Schweiß wie bei Onkel Jürgen. Es roch aufregend, wild, irgendwie unbekannt und doch total verlockend. »Wie alt bist du?«, fragte ich ihn. »Im nächsten Monat werde ich siebzehn!«, antwortete Christian. Wieder eine ziemlich lange Pause. Dann sagte er so leise, dass ich es kaum hören konnte: »Du siehst total gut aus, Hannah!« Mein Herz stockte. So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt! Und dann noch von einem Jungen mit so einer Wahnsinnsstimme und so einem umwerfenden Duft! Ich hätte auch gern geantwortet. Irgendwas. Zum Beispiel: »Du siehst auch gut aus!« Oder wenigstens: »Danke, dass du das sagst!« Aber ich bekam überhaupt nichts heraus. Ich senkte meinen Kopf und hoffte, dass die Brille hielt, was Mutter versprochen hatte, und Christian denken möge, dass mein roter Kopf allein von der Sonne käme. Plötzlich war alles unmittelbar nebeneinander: höchstes Glück und tiefste Angst - meinte er wirklich mich? Ich spürte wie meine Hände leicht zitterten. . Dann kam der Schock. »Ich muss leider gehen!«, sagte er. Beinahe hätte ich mir auf die Lippe gebissen. Doch dann rief ich so laut, dass vermutlich einige Gäste in der Nähe zusammenzuckten: »Christian - können wir uns mal wieder treffen?« »Gern!«, entgegnete er ohne Zögern. »Ich hole eben was zu schreiben und dann notiere ich dir meine Telefonnummer, ja?« Während er weg war, überlegte ich fieberhaft, ob ich ihn nicht noch etwas Wichtiges fragen müsste - jetzt, wo er noch da war, jetzt, wo es noch eine Chance gab, etwas zu fragen oder mitzuteilen. Aber mir fiel einfach nichts ein. Da stand er auch schon wieder vor mir. »Ich hab dir auch meine Adresse aufgeschrieben!«, sagte er. Dann nahm er meine rechte Hand - ich fühlte warme, kräftige Fingerspitzen - und legte einen Zettel in meine Hand. Zuletzt fügte er leise hinzu: »Hast du jemand, der es dir vorlesen wird?« Er wusste es also. Er wusste es und hatte mir trotzdem seine Anschrift und Telefonnummer gegeben!