Beschreibung
Wenn Staaten gemeinsame Ziele erreichen wollen, müssen sie sich auf rechtliche und moralische Grundlagen einigen. Das rührt an das Prinzip der Souveränität des Einzelstaates. Möglichkeiten und Folgen politischer Gemeinschaften jenseits des Nationalstaates werden hier unter anderem von Andrew Arato, Dieter Grimm, Jürgen Habermas, Matthias Iser, Christine Landfried, E.-G. Mahrenholz, Gunnar F. Schuppert, Ulrich K. Preuß und Michael Zürn diskutiert.
Autorenportrait
Tine Stein vertritt zurzeit eine Professur für Politische Theorie an der Universität Bremen. Hubertus Buchstein ist Professor für Politische Theorie an der Universität Greifswald. Claus Offe ist Professor für 'Theories of the State' an der Hertie Governance School in Berlin.
Leseprobe
Einleitung Hubertus Buchstein, Claus Offe, Tine Stein Mit Begriffen wie "Transformationen des Staates" oder "Prinzip der offenen Staatlichkeit" wird gegenwärtig in Politik- und Rechtswissenschaft ein Form- und Funktionswandel moderner Staatlichkeit beschrieben, der zu einem neuen Nachdenken über die Zusammenhänge zwingt, die zwischen Souveränität, Recht und Moral einerseits und den Grundlagen politischer Gemeinschaft andererseits bestehen. Mit dem Vokabular traditioneller Souveränitätskonzeptionen lässt sich dieser Wandel nur schwer erfassen; daher wird auch zweifelhaft, ob und wie staatliche Souveränität als Geltungsquelle des Rechts zu betrachten ist. Woher also bezieht das Recht sein Recht? Und welche begrifflichen Operationen sind heute geeignet, den gewandelten Zusammenhang von Souveränität, Recht und Moral mit den Grundlagen politischer Gemeinschaft zu erfassen? Über diese Fragen gibt es seit einiger Zeit lebhafte Debatten, die jedoch von konvergenten Ergebnissen noch weit entfernt sind; dafür sind die Problemsichten und die vorgeschlagenen Lösungswege zu unterschiedlich. Bemerkenswert an diesen Debatten ist, dass sie interdisziplinär und ausgesprochen offen geführt werden. Das war jedenfalls die Erfahrung der Beteiligten auf dem Symposion "Souveränität - Recht - Moral. Die Staatsgewalt im Zeitalter der offenen Staatlichkeit", das am 14. und 15. April 2005 anlässlich der Verabschiedung von Ulrich K. Preuß an der Freien Universität Berlin stattfand. Dieses Buch dokumentiert die Debatten dieser Tagung. Die Herausgeber haben sich bemüht, den lebhaften diskursiven Charakter des Symposions auch in der Druckfassung zu bewahren. Zu diesem Zweck werden hier die einzelnen Beiträge von einer Auswahl der zugehörigen kritischen Kommentare und alternativen Überlegungen begleitet. Sechs Themenblöcke markierten den Verlauf der Debatte. Die Beiträge des ersten Blocks mit Beiträgen von Hasso Hofmann, Tine Stein, Alfred Rinken und Kommentierungen von Hans-Peter Schneider, Ernst Gottfried Mahrenholz und Christoph Möllers stellen die grundsätzliche Frage nach den Geltungsquellen des Rechts in modernen pluralistischen Gesellschaften. Der Geltungsanspruch des Rechts erschöpft sich nicht in seiner machtbasierten "Gesatztheit", sondern weist über die Positivität des Rechts hinaus. Dem positiven Recht der Moderne ist eine legitimierende Bezugnahme auf metapositive Gerechtigkeitsnormen wie auf vorstaatliche Menschenrechte eigentümlich. Andererseits gehört es zu den freiheitsverbürgenden Errungenschaften des modernen Verfassungsstaats, Recht und Moral nicht mit-einander kurzzuschließen, vielmehr Legalität von Moralität getrennt zu halten. Welche Rolle spielen universalistische moralische Geltungsgründe dennoch für die Rechtsbegründung in normativ fragmentierten Gesellschaften, und welche Rolle kommt dabei religiösen Begründungsmustern eventuell noch zu? Sind sie stark genug, das Hobbes'sche Programm des neuzeitlichen Staates und des Macht-Positivismus zu konterkarieren, das da lautet: "auctoritas non veritas facit legem"? Inwieweit ist es überhaupt zutreffend, den modernen Staat als Resultat der Säkularisierung zu verstehen? Im Mittelpunkt des zweiten Themenblocks mit Beiträgen von Petra Dobner, Olivier Beaud und Andrew Arato sowie Kommentaren von Lidija R. Basta Fleiner und Anton Greber steht die Frage nach den unter heutigen Bedingungen angemessenen Prozeduren der Verfassungsgebung. Diese Frage stellt sich nicht nur für post-diktatorische Staaten, sondern auch für suprastaatliche politische Ordnungsgebilde wie die Europäische Union. Das Legitimationsmodell der westlichen Verfassungsstaaten ist bislang von Rekursen auf die Idee eines Kollektivsubjekts, die pouvoir constituant, und auf einen klar benennbaren Gründungsmoment geprägt. Was kann dieses in der Vergangenheit vielfach bewährte Modell in einer Zeit transformierter und offener Staatlichkeit noch bieten? Inwieweit erfordert die transfor-mierte Staatlichkeit bereits auf analytischer Ebene die Berücksichtigung veränderter Konstitutionalisierungsbedingungen? Und welche prozeduralen Möglichkeiten bieten sich dann alternativ für die Verfassungsgebung an? Die Antworten auf die letztgenannte Frage konzentrieren sich vor allem auf Vorschläge, das Konzept des "Bundes" als eine tragfähige Basis für die Verfasstheit von Staaten und supranationalen Quasi-Staaten auszuloten. Im Rahmen des dritten Themenblocks wird in den Beiträgen von Mattias Iser und Faruk Birtek sowie den Kommentierungen von Dario Castiglione und Otto Kallscheuer die Frage diskutiert, inwieweit die Europäische Union den Status einer politischen Gemeinschaft reklamieren kann und soll. Woran könnte eine europäische politische Gemeinschaftsbildung ihren Halt finden? Wie weit soll eine europäische Solidaritätszumutung gehen? Ist das Modell des Verfassungsvertrags für Europa überhaupt angemessen, und wie aussichtsreich lässt sich das Konzept des "Verfassungspatriotismus" auf die Ebene der EU übertragen? Mit den beiden folgenden Diskussionsblöcken wird der bisherige Fra-gehorizont auf das Verhältnis zwischen rechtlicher und politischer Ordnung in der internationalen Gemeinschaft ausgeweitet. Die vierte Abteilung geht mit ihren Beiträgen von Joscha Schmierer und Claus Offe sowie den Kommentaren von Thomas Fleiner und Michael Zürn der Frage nach, ob der "Westen" als Wertegemeinschaft und als eine aktionsfähige Bündnisstruktur auch nach den politisch-militärischen Reaktionen der USA auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 noch existent ist. Inwieweit sind die USA und das "alte Europa" seit dem Irakkrieg auseinandergedriftet, und wie sind die Chancen einer neuerlichen Annäherung einzuschätzen? Sind die Ursachen für die derzeitigen Irritationen auf beiden Seiten des Atlantiks tatsächlich in momentanen Verstimmungen über den angemessenen Weg der Terrorbekämpfung zu suchen oder kommen darin nachhaltige Wert- und Interessendivergenzen zum Ausdruck? Die Debatte im fünften Themenblock schließt insofern an diese Proble-matik an, als Jürgen Habermas und Jean Cohen in ihren Symposionsbeiträ-gen sowie Bardo Fassbender und Hubertus Buchstein in ihren Kommenta-ren nach einem angemessenen Paradigma für die rechtliche Verfassung der in-ternationalen Gemeinschaft fragen. Wie sind vor dem Hintergrund unipolarer Machtverhältnisse die gegenwärtigen Reformversuche der Vereinten Nati-onen einzuordnen und zu bewerten? Benötigen die Vereinten Nationen längerfristig eine neue Verfassung im umfassenden Sinn des Wortes und an was für einem Modell soll sich ein solches Vorhaben im positiven Falle orientieren? Oder ist es nicht nur aus pragmatischer, sondern auch aus nor-mativer Sicht attraktiver, die souveränen Rechte von Einzelstaaten im Kontext der internationalen Staatengemeinschaft zu stärken? Die Beiträge und Kommentare im sechsten Themenblock von Gunnar F. Schuppert, Matthias Mahlmann, Bernd Ladwig, Christine Landfried und Dieter Grimm nehmen diese Diskussion dadurch auf, als sie den Wandel der Souveränität explizit zum Thema machen. Woran lässt sich auf empirischer Ebene überhaupt ein Wandel von Souveränität konkret festmachen? Was folgt normativ aus der Diagnose solcher Wandlungsprozesse? Kann das Souveränitätskonzept für heutige politische Bedürfnisse reformuliert werden oder ist es als obsolet anzusehen? Und inwieweit sind die unterschiedlichen disziplinären Perspektiven von Rechts- und Politikwissenschaft für die Wahrnehmungs- und Bewertungsdivergenzen in der Souveränitätsfrage verantwortlich? Die Beiträge zeichnen das Souveränitätskonzept begriffsgeschichtlich nach und warten mit unterschiedlichen konzeptionellen Kon-sequenzen für den heutigen Kontext auf. Der Band endet mit zuspitzenden Überlegungen von Ulrich K. Preuß über die Souveränität als einem Schlüsselbegriff des Politischen. Preuß beschreibt in diesem Aufsatz, der auf seine Abschiedsvorlesung an der Freien Universität Berlin zurückgeht, den grundlegenden Wandel heutiger Staa...
Inhalt
Inhalt Einleitung Hubertus Buchstein, Claus Offe, Tine Stein I.Religion, Moral, Macht: Worauf stützt sich der Geltungsanspruch modernen Rechts? Beiträge Auctoritas, non veritas, facit legem? Hasso Hofmann Worauf stützt sich der Geltungsanspruch modernen Rechts? Alfred Rinken Zur Rechtsbegründung bei Hobbes und Rousseau im Kontext des Verhältnisses von Politik und Religion Tine Stein Kommentare Für Menschengerechtigkeit! Hans-Peter Schneider Zwischen Bellizismus und Moralität: Zwei deutsche Modelle der Verfassungsstaatlichkeit Christoph Möllers Rechtsnormen und Werte Ernst Gottfried Mahrenholz II.Nation-Building and Constitution-Making: Zur Re-Konstruktion des Staates durch Verfassung(sdiskussion) Beiträge Skeptischer Verfassungspatriotismus Petra Dobner Nation-Building in a Federation: Über die Besonderheiten des "Bundesvolks" Olivier Beaud Post Sovereign Constitution Making and Democratic Legitimacy Andrew Arato Kommentare Constitution Making and Nation Building without a Sovereign Lidija R. Basta Fleiner Der Bundesstaat: Randerscheinung oder Symptom für die Unzulänglichkeit einer souveränitätsbezogenen Staatstheorie? Anton R. Greber III.Die EU - eine politische Gemeinschaft? Beiträge Dimensionen eines europäischen Verfassungspatriotismus Mattias Iser Sitting on the Edge: Viewing Europe from its Eastern Shore Faruk Birtek Kommentare A Community of Strangers? Dario Castiglione Alternative Alteuropa - Offener Verfassungspatriotismus aus pluralistischem Erbe Otto Kallscheuer IV.Rekonstruktion oder Dekonstruktion des Westens? Beiträge "Rekonstruktion des Westens": Umrisse des Problemfelds Joscha Schmierer Rekonstruktion oder Dekonstruktion des "Westens"? Claus Offe Kommentare Konstruktion des Universalismus Thomas Fleiner Löst sich der Westen auf? Michael Zürn201 V.Die rechtliche Verfasstheit der internationalen Gemeinschaft Beiträge Die Reform der Vereinten Nationen Jürgen Habermas Sovereign Equality vs Imperial Right Jean L. Cohen Kommentare Die rechtliche Verfasstheit der internationalen Gemeinschaft im Schatten des Hegemons: Brauchen die UN eine neue Verfassung? Bardo Fassbender Drei Varianten des Kantschen Projekts einer politisch verfassten Weltgesellschaft Hubertus Buchstein VI.Der Wandel der Souveränität und das Verhältnis von Recht und Politik Beiträge Souveränität - Überholter Begriff, wandlungsfähiges Konzept oder "born 1576, but still going strong"? Gunnar F. Schuppert Gründungsmythos und Autonomie - Aspekte der Souveränität Matthias Mahlmann Das Recht der Souveränität und seine Grenzen Bernd Ladwig Kommentare Kosmopolitische Souveränität Christine Landfried Souveränität - zur aktuellen Leistungsfähigkeit eines rechtlich-politischen Grundbegriffs Dieter Grimm VII.Souveränität, Recht und Politik Souveränität - Zwischenbemerkungen zu einem Schlüsselbegriff des Politischen Ulrich K. Preuß. Autorinnen und Autoren
Schlagzeile
Grundlagen politischer Gemeinschaft