Beschreibung
InhaltsangabeInhalt Einleitung Christopher Daase/Philipp Offermann/Valentin Rauer7 I. Sicherheitskultur: Begriffe und Konzeption Sicherheitskultur als interdisziplinäres Forschungsprogramm Christopher Daase23 Sicherheitsrecht, -politik und -kultur im demokratischen Verfassungsstaat Christoph Gusy/Annika Kapitza45 II. Methodologische Perspektivierungen Interobjektivität: Sicherheitskultur aus Sicht der Akteur-Netzwerk-Theorie Valentin Rauer69 Dispositive der Vorbeugung: Gefahrenabwehr, Resilienz, Precaution Ulrich Bröckling93 Resilienz als >Boundary Object< Stefan Kaufmann109 Sicherheit, Entgrenzung und die Suspendierung des Privaten Andreas Vasilache133 III. Gesellschaftliche Gruppen und Akteure Politische Entscheidungen und das Risiko Terrorismus Hendrik Hegemann/Martin Kahl159 Natur und Kultur als Quellen der Gefahr - Zum historischen Wandel der Sicherheitskultur Patrick Masius183 Kooperative Sicherheitspolitik - Safety und Security Governance in Zeiten sich wandelnder Sicherheitskultur Bernhard Frevel/Verena Schulze205 IV. Normenentwicklung internationaler Sicherheitskultur Politische Autorität in Nachkriegsgesellschaften: Zur Sicherheitskultur internationaler Administrationen Thorsten Bonacker229 Humanitäre Interventionen als sicherheitskulturelle Praxis Julian Junk253 Warum so freundlich? Der Umgang von NGOs mit privaten Sicherheits- und Militärfirmen Andrea Schneiker/Jutta Joachim277 V. Sicherheits- und Risikoperzeption Subjektive Unsicherheit Dina Hummelsheim/Dietrich Oberwittler/Julian Pritsch301 Entscheidungen zwischen gefühlter Sicherheit und bestehendem Risiko Franz Porzsolt, Igor Polianski, Johannes Clouth, Werner Burkart, Martin Eisemann325 Risikobewusstsein: Sicherheit als Konstrukt gesellschaftlicher Wahrnehmung Lars Gerhold341 Autorinnen und Autoren357
Autorenportrait
Christopher Daase ist Professor für Internationale Organisation im Rahmen des Exzellenzclusters "Normative Ordnungen" an der Universität Frankfurt. Philipp Offermann und Valentin Rauer, Dr. rer. soc., arbeiten im dortigen Forschungsprojekt "Sicherheitskultur im Wandel".
Leseprobe
Seit einigen Jahren wird in wissenschaftlichen und politischen Kontexten immer häufiger der Begriff der Kultur mit dem der Sicherheit in Zusammenhang gebracht. Diesem Trend liegt offenbar die Vermutung zugrunde, mit dem Kulturbegriff ließen sich ungleichzeitige Veränderungen von objektiver und subjektiver, nationaler und internationaler, sozialer und militärischer Sicherheit beschreiben und das Verhältnis von sicherheitspolitischen Diskursen und sicherheitspolitischer Praxis analysieren. Noch freilich wird der Begriff der Sicherheitskultur so unterschiedlich und unbestimmt verwendet, dass Erkenntnisse aus der einen Disziplin nicht einfach in eine andere übertragen werden können und der politische Sprachgebrauch uneinheitlich bleibt. Kein Wunder, dass Kritiker bereits die Nützlichkeit dieses Konzepts wieder in Frage stellen. Dieser Beitrag - und in der Tat: dieser Sammelband als erster einer Reihe - beabsichtigt demgegenüber, zur weiteren Klärung der Begrifflichkeit beizutragen und Sicherheitskultur als ein interdisziplinäres Forschungsprogramm zu etablieren. Dabei soll in drei Schritten vorgegangen werden. Zunächst soll der Wandel des Sicherheitsverständnisses skizziert werden, um deutlich zu machen, dass die sicherheitspolitische Forschung auf gesellschaftliche und politische Veränderungen reagiert und die Renaissance des Kulturbegriffs auf den Wandel politischer und sozialer Problemlagen antwortet. Anschließend soll die Entwicklung der Sicherheitsforschung dargestellt und die Rolle des Kulturbegriffs beleuchtet werden. Dabei soll deutlich werden, dass mit Hilfe des Konzepts der Kultur neue Probleme der Sicherheitspolitik erfasst und erforscht werden können und dass strategische Kultur und Sicherheitskultur je unterschiedliche, wenn auch zusammenhängende Forschungsbereiche umschreiben. Im abschließenden Teil soll anhand von Beispielen gezeigt werden, wie sich ein kulturwissenschaftlicher Ansatz in der Sicherheitsforschung umsetzen lässt und zu welchen Erkenntnissen er beitragen kann. Der Wandel des Sicherheitsverständnisses Der Befund, dass sich das Verständnis von Sicherheit in den letzten fünfzig Jahren grundlegend gewandelt hat und sich die Anforderungen an die Sicherheitspolitik dadurch dramatisch verändert haben, dürfte unstrittig sein. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, diesen Wandel zu beschreiben. Man kann begriffshistorisch in die Geschichte zurückgehen, das Verhältnis der Urbegriffe securus und certus durch die Zivilisationen verfolgen und den konzeptionellen Wandel epochengeschichtlich fassen (Conze 1984; Schrimm-Heins 1990; Wæver 2008; Daase 2010a; Zwierlein 2012); man kann die Entstehung der Unterscheidung von innerer und äußerer Sicherheit im Zuge der Staatenbildung und die tendenzielle Aufhebung dieser Unterscheidung heutzutage thematisieren (Härter 2003; Gusy 2004; Werkner 2010); man kann eine lange Liste immer neuer Gefahren und Herausforderungen erstellen, welche die Sicherheit des Staates, der Gesellschaft oder der Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigen (Bundesakademie 2001; Debiel 2005). Für den Zweck dieses Beitrags soll nur auf drei Entwicklungen hingewiesen werden: die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs, die Überforderung staatlicher Sicherheitspolitik und die Legitimationskrise gouvernementaler und intergouvernementaler Sicherheitsinstitutionen. Erweiterung des Sicherheitsbegriffs Wenn man sich einmal nur auf den Sicherheitsbegriff konzentriert (und nicht auch auf verwandte Begriffe blickt) und sich auf die letzten fünfzig Jahre beschränkt, dann kann man zeigen, wie sich die Bedeutung von Sicherheit sukzessive erweitert hat. Heute werden viel mehr Probleme als sicherheitsrelevant - und damit als Themen der Sicherheitspolitik - angesehen als früher. An anderer Stelle ist diese Erweiterung ausführlicher dargestellt worden (Daase 2010b; vgl. bereits Daase 1991). Hier sollen nur die vier Dimensionen in Erinnerung gerufen werden, anhand derer sich der Wandel systematisieren lässt. Die erste Dimension betrifft das Referenzobjekt, also die Frage, wessen Sicherheit gewährleistet werden soll. Die zweite Dimension ist die Sachdimension, also die Frage, in welchem Problembereich der Politik Sicherheitsgefahren festgestellt werden. Die dritte Dimension betrifft die Raumdimension, das heißt die Frage, für welches geographische Gebiet Sicherheit angestrebt wird. Die vierte Dimension ist schließlich die Gefahrendimension, also die Frage, wie das Problem konzeptualisiert wird, auf das Sicherheitspolitik antworten soll. Abbildung 1 stellt die Dimensionen des erweiterten Sicherheitsbegriffs graphisch dar. Hinsichtlich der Referenzdimension hat sich der Sicherheitsbegriff insofern gewandelt, als nicht mehr nur der Staat, sondern zunächst die Gesellschaft und schließlich das Individuum in den Blick sicherheitspolitischer Überlegungen geraten sind (Wæver 1993; Axworthy 1997). Heute wird ganz selbstverständlich von "menschlicher Sicherheit" gesprochen, die das Ziel nationaler und internationaler Sicherheitspolitik sein müsse (Stein-Kämpfe 2008). Auch im Hinblick auf den geographischen Bezug des Sicherheitsdenkens hat ein Wandel stattgefunden. Nicht mehr nur die eigene nationale, sondern zunächst die regionale, dann die internationale und schließlich die globale Sicherheit wurden thematisiert (Stockholm Initiative 1991). Heute ist es fast unmöglich, Sicherheitsinteressen zu formulieren, ohne ihre globalen Auswirkungen zu thematisieren. Damit korrespondiert der Wandel der Sachdimension. Längst ist es nicht mehr nur der militärische Bereich, sondern seit den 1970er Jahren der ökonomische, seit den 1980er Jahren der ökologische und inzwischen auch der humanitäre Bereich, der unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit diskutiert wird (Renner 1989; Allenby 2000). Der Wandel der vierten Dimension, der Gefahrendimension, ist vermutlich der folgenreichste. Hier wird entschieden, wie die Gefahr konzeptualisiert wird, vor der Sicherheitspolitik schützen soll. Der Wandel, der sich hier nachweisen lässt, ist die Verschiebung von konkreten Bedrohungen im Rahmen des Kalten Krieges über Verwundbarkeiten hin zu potentiellen Risiken, deren Reduzierung erwartet wird (Daase 2002; Beck 2007).