Beschreibung
Hätten Sie gedacht, dass Empathie überbewertet wird, Lügen das Ansehen steigern, Organisationen Hierarchien brauchen, Stress sinnvoll ist oder sich Kündigungen aus Frust rächen? Diese und rund 70 weitere überraschende Wahrheiten aus der Berufswelt offenbart Daniel Rettig in seinem Buch. Alle Erkenntnisse basieren auf wissenschaftlichen Studien oder Experimenten. Sie widerlegen gängige Karrieremythen und liefern den Leserinnen und Lesern zahlreiche Aha-Erlebnisse, die helfen, sich selbst und die lieben Kollegen besser zu verstehen und dabei das Beste für sich rauszuholen. Unverzichtbar für alle, die im ganz normalen Jobwahnsinn überleben wollen, ohne den Verstand zu verlieren.
Autorenportrait
Daniel Rettig ist Redaktionsleiter der digitalen Bildungsplattform ada. Zuvor leitete er bei der Wirtschaftswoche das Ressort Erfolg. Er hat bereits einige erfolgreiche Bücher veröffentlicht.
Leseprobe
Vorwort Als Produktdesigner war Steve Jobs ein Genie, als Karriereberater ein Stümper. Am 12. Juni 2005 hielt der Apple-Gründer eine Rede vor Absolventen der Stanford University - und gab den Anwesenden ein paar Ratschläge mit auf ihren Lebensweg. Darunter auch den Tipp, dass man seinen Beruf unbedingt lieben müsse: 'Eure Arbeit wird einen großen Teil eures Lebens ausmachen, und ihr werdet nur dann zufrieden sein, wenn ihr eure Arbeit für bedeutsam haltet - aber dafür müsst ihr sie lieben.' Was für ein Quatsch. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ja, es ist besser, seine Arbeit zu mögen, als sie zu verachten. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir sie zwangsläufig lieben müssen. Natürlich hören die Menschen gerne zu, wenn einer der berühmtesten Manager der Welt seine Erfolgsgeheimnisse offenbart. Manche lassen sich davon inspirieren, andere wollen sie gar imitieren. Aber ist das wirklich eine gute Idee? Lassen sich solche Methoden einfach übertragen? Oder sind sie schlicht die Erfahrungen eines einzelnen Managers - nicht weniger, aber eben auch nicht mehr? Spätestens seit Steve Jobs Rede teilen amerikanische Manager gerne philosophische Weisheiten mit Anhängern, Aktionären und Angestellten. Sheryl Sandberg, Chief Operating Officer von Facebook zum Beispiel, richtete sich in ihrem Bestseller Lean In vor allem an moderne, karrierebewusste Frauen. Hedgefonds-Milliardär Ray Dalio sprach bei der Ideenkonferenz TED über seine Führungsphilosophie der radikalen Transparenz (zu der wir später noch kommen). Und Amazon-Gründer Jeff Bezos erinnert ständig an sein Mantra vom 'Tag 1', damit sich die Belegschaft bloß niemals ausruht und jeden Morgen motiviert zur Arbeit kommt. Von diesen modernen Hirtenbriefen soll vor allem das Image des Unternehmens profitieren. Seht her, so die Botschaft, unser Chef denkt trotz eines vollen Terminkalenders längst nicht nur an Geld, sondern vor allem über das Tagesgeschäft hinaus - was für ein wunderbarer Köder für talentierte Nachwuchskräfte, die heute nicht nur honoriert, sondern auch inspiriert werden möchten. Die hypnotisierende Wirkung der beruflichen Lebenslektionen wird dabei leicht vergessen. Sagen wir es, wie es ist: Erfolg fasziniert. Auch weil er so wenig planbar ist. Niemand kann mit Sicherheit sagen, warum der eine Millionen auf dem Konto hat und der andere darben muss; wieso der eine vom Chauffeur ins Büro gefahren wird, während der andere sich jeden Morgen in den vollen Pendlerzug quetschen muss; weshalb aus dem miserablen Schüler ein Professor wurde, während der Streber von einst sich von einem Aushilfsjob zum nächsten hangelt. Manchmal dreht das Leben die Hierarchien um, manchmal behält es sie bei. War der eine fleißiger? Die andere klüger? Welche Rolle spielt das Glück? Und welche der pure Zufall? Fragen über Fragen. Insofern ist es erstmal verständlich, von Vorbildern lernen zu wollen. Das Problem ist bloß: Dieses Bedürfnis nutzen selbsternannte Karriereexperten, Coaches und Berater gerne aus. In Seminaren, Büchern und Keynotes adaptieren sie die Best-Practice-Denke aus der Betriebswirtschaft und orientieren sich an bekannten Erfolgsgeschichten: Was dem einen Unternehmen hilft, wird ganz sicher auch dem anderen nützen. Und wer sich vom Klassenbesten inspirieren lässt, kann nichts falsch machen. So haben sich in den vergangenen Jahren einige vermeintliche Gewissheiten etabliert. Demnach sind flache Hierarchien ein nahezu idyllischer Zustand. Gehälter sollten transparent sein, Gründer möglichst jung, Manager unbedingt authentisch, charismatisch und empathisch. Jeder sollte zunächst mal seine Leidenschaft finden, Langeweile unbedingt vermeiden und ruhig Fehler machen. Solange wir dabei vor allem nach Glück streben, ist alles gut. Aber stimmt das wirklich? Die Arbeits- und Organisationspsychologie liefert hier wertvolle Hinweise. Wer einmal all die Feldstudien, Langzeituntersuchungen und Laborexperimente liest, der stellt relativ schnell fest, dass die Wahrheit doch wohl eher in der Mitte liegt. Zum einen lassen sich gewisse Muster nicht so einfach übertragen. Und zum anderen erweist sich die Hoffnung, dass man von erstrebenswerten Eigenschaften gar nicht genug haben kann, bei näherem Hinsehen als großes Missverständnis. Die beiden Managementforscher Jason Pierce und Herman Aguinis von der Indiana University nennen das den too-much-of-a-good-thing effect. Studien zeigen zum Beispiel: Ein durchsetzungsstarker Chef ist gut - bis zu einem gewissen Punkt. Jenseits einer Grenze jedoch schadet er mit zu viel Durchsetzungsstärke sich selbst und seinen Angestellten. Ähnlich ist es mit der Gewissenhaftigkeit. Eine Eigenschaft, die erstmal gut ist - bis sie abgleitet in Kontrollwahn und Perfektionismus. Genauso wenig führt Autonomie am Arbeitsplatz immer zu seelischer Erfüllung, sondern im Extremfall zu purem Stress. Der Grat zwischen Erfolg und Scheitern ist äußerst schmal - auch weil dieselben Eigenschaften, die den Höhenflug ermöglichen, mitunter den Absturz einläuten. Umso wichtiger ist es, sich vor falschen Ratschlägen zu schützen. Genau dafür gibt es dieses Buch. Vielleicht werden manche der Einsichten in diesem Buch Sie überraschen, andere womöglich verärgern oder enttäuschen. Aber wenn Ihnen auch nur ein Teil der hier vorgestellten Jobwahrheiten dabei hilft, vermeintlichen Erfolgsrezepten aus dem Weg zu gehen oder sich von falschen Vorstellungen zu befreien, dann hat mein Buch seinen Zweck erfüllt. Zu diesen vermeintlichen Erfolgsrezepten gehört eben auch das eingangs von Steve Jobs zitierte Mantra, seine Arbeit unbedingt lieben zu müssen. Denn dieser Ratschlag birgt in Wahrheit zahlreiche Gefahren. Erstens riskieren Sie, dass weder Ihre Kollegen und Kunden noch Ihre Vorgesetzten diese Liebe erwidern - und dann sind Enttäuschungen programmiert. Und zweitens gibt es schließlich genauso gut Menschen, die ihr Lebensglück nicht daraus ziehen, jeden Morgen in ein Bürogebäude zu gehen und dort den ganzen Tag zu verbringen. Lieben die ihre Arbeit? Eher nicht. Geht es ihnen deshalb zwangsläufig schlechter? Wohl kaum. Was dem einen hilft, kann dem anderen schaden. Aber was dem einen schadet, kann dem anderen auch helfen. 1 Alles dauert länger, als man denkt Pläne sind zwangsläufig zu optimistisch Es gibt gewisse Themen, über die macht man keine Witze mehr. Ostfriesen zum Beispiel. Blondinen. Schotten. Oder den geplanten Berliner Flughafen. Ursprünglich sollte er 1,7 Milliarden Euro kosten und im Jahr 2011 eröffnen, Anfang 2019 hat er bereits 5,4 Milliarden Euro verschlungen und ist immer noch eine Baustelle. Doch 'der BER' ist längst nicht das einzige Großprojekt in Deutschland, das zum Synonym wurde für Inkompetenz und Geldverschwendung. Die Elbphilharmonie in Hamburg sollte 186 Millionen Euro kosten, letztlich lief es auf 866 Millionen hinaus. Der Preis für den Bahnhof Stuttgart 21 wurde im Jahr 1995 auf 2,6 Milliarden Euro taxiert, 2017 waren es dann 7,6 Milliarden Euro. Ein deutsches Phänomen? Mitnichten: Die Baumeister von Sydney schätzten im Jahre 1957, dass das Opernhaus sechs Jahre später für sieben Millionen Dollar fertig würde. Tatsächlich feierte die Stadt die Eröffnung 1973, die Rechnung belief sich am Ende auf 102 Millionen Dollar. Den dänischen Wirtschaftsgeografen Bent Flyvbjerg können solche Zahlen nicht mehr schockieren. Der Professor an der University of Oxford ist einer der weltweit renommiertesten Experten in Sachen Planungsfehler. Seine Studien zeigen es deutlich: Große Vorhaben dauern meistens länger und werden teurer als geplant. Etwa neun von zehn Projekten, hat Flyvbjerg beobachtet, entpuppen sich als Kostengrab. Nun könnte man das als Versagen der staatlichen Bürokratie abtun oder auf die Komplexität der entsprechenden Projekte schieben. Wer selbst mal ein Haus neu gebaut, renoviert oder saniert hat, der weiß, was dabei alles schief gehen kann. Doch Psychologen wissen schon lange: Das Problem kennen nicht nur Bauherren. In Wahrheit dauert immer alles länger als geplant. ...
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