Beschreibung
Das Selbst traumatisierter Patienten ist häufig tief gespalten, was zu immer neuem Leid führt. Wie es gelingt, die Abspaltungen ins Bewusstsein des Patienten zu heben, ihre Funktionen zu klären und therapeutische Strategien zu entwickeln, zeigt der Autor an zahlreichen eindrucksvollen Beispielen. Jeder Mensch kann Spaltungsprozesse an sich selbst beobachten. Wenn eine Situation für uns emotional schwierig wird, reduzieren wir unsere Gefühle; wir spalten sie ab. Dieser nützliche Selbsthilfeakt der Psyche kann bei Traumatisierungen zu tiefen und dauerhaften Spaltungen der Persönlichkeit führen. Für Psychotherapeuten stellen diese Patienten eine große Herausforderung dar. Anhand zahlreicher Fallbeispiele gibt der Autor hier seinen Erfahrungsschatz weiter: Er beschreibt die Bandbreite der vorkommenden Spaltungen. Er zeigt, wie Therapeuten Spaltungen und unbewusste Persönlichkeitsanteile bei ihren Patienten erkennen. Er vermittelt die nötigen Strategien, um mit dieser Patientengruppe effektiv zu arbeiten. Die Weiterentwicklung der Familienaufstellung im Sinne einer Aufstellung der 'inneren Familie' spielt hierbei eine zentrale Rolle. Nicht nur Fachleute, auch Betroffene und Angehörige von traumatisierten Menschen werden dieses Buch mit Gewinn lesen.
Autorenportrait
Franz Ruppert, Prof. Dr., Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, ist Professor an der Katholischen Stiftungshochschule München und in eigener Praxis tätig. Seit 1994 führt er in Deutschland und im europäischen Ausland Workshops durch zu der von ihm entwickelten Methode 'Aufstellung des Anliegens'. Er ist spezialisiert auf die psychotherapeutische Arbeit mit schweren psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Ängsten, Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Psychosen und Schizophrenien. Dazu kommen zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themen Symbiosetrauma und Aufstellungsarbeit Weitere Informationen, Bücher und Arbeitsfelder zu Franz Ruppert: www.franz-ruppert.de 'Es bleibt ein Verdienst von Franz Ruppert, einen Baustein zur Aufklärung über vielfältige Leiden von Menschen mit chronisch-frühkindlicher Traumatisierung beigetragen zu haben.' Margret Dörr, socialnet.de
Leseprobe
8. Innere Heilung Wie im Innen, so im Außen Unter innerer Heilung verstehe ich einen Prozess, der nicht im Außen, sondern in der eigenen Seele den Ausweg sucht. Innere Heilung bedeutet, sich nicht mehr abhängig davon zu machen, was andere für einen tun oder von einem erwarten. Wer den Weg der inneren Heilung geht, hat die Zuversicht, dass sich die Probleme im Außen lösen werden, sobald die innere Bereitschaft dafür vorliegt. Das gesunde Ich beugt sich deshalb auch keinem Aktionsdruck eines Überlebens-Ichs mehr. Der Weg der inneren Heilung nimmt die Probleme im Außen sogar als eine Chance wahr, sich in erster Linie selbst besser zu verstehen und sich zu fragen, wofür die eigene Seele dieses oder jenes Problem im Moment möglicherweise braucht. Sich mit seinen Spaltungen nicht nur zu arrangieren, sondern sich daraus zu befreien, ist kein einfacher und bequemer Weg. Vielleicht ist es im Endeffekt aber sogar der kürzeste Weg von allen. Es sind nach meiner Erfahrung verschiedene Prozesse, die stattfinden, um Schritt für Schritt in einen Zustand innerer Heilung zu gelangen. 8.1 Erkennen der Spaltungen An erster Stelle steht das Erkennen und Anerkennen der eigenen Spaltungen. Da es ein Wesensmerkmal der Spaltung ist, dass die voneinander getrennten Seelenanteile keine bewusste Verbindung mehr miteinander haben, kann ein Mensch auch nur entweder in dem einen oder in dem anderen Anteil im vollen Bewusstsein wahrnehmen, fühlen, denken und handeln. Er kann sich nur in einem traumatisierten, in einem Überlebensanteil oder in seinem heil gebliebenen Anteil seiner selbst bewusst sein. Es ist ein großer, erster Schritt auf dem Weg der inneren Heilung, wenn sich Menschen ihrer seelischen Spaltungen bewusst werden und erkennen, in welchen Alltagssituationen sie den Wechsel von einer Teilpersönlichkeit zur anderen vollziehen. Im folgenden Beispiel beschreibt eine Patientin ihre Erfahrungen nach einer Therapiesitzung, in der wir mit ihrem Täter- und Opferanteil arbeiteten, die sich unversöhnlich gegenüberstanden. Ihre Mutter wollte sie nicht haben, da sie aus einer außerehelichen Beziehung hervorging und ihr Vater gleichzeitig zwei weitere Frauen geschwängert hatte. Die Patientin überlebte die Abtreibungsversuche ihrer Mutter und war später wiederholt deren Mordanschlägen ausgesetzt. Die zerstörerische Energie ihrer Mutter war zu einem Teil ihrer selbst geworden. Ihre anderen Anteile mussten dagegen ankämpfen, sich schützen und diesen selbstzerstörerischen Anteil in Schach halten. Dieser mit dem gewalttätigen und ablehnenden Anteil ihrer Mutter symbiotisch verschmolzene Anteil - in der Fachsprache würde man hier von 'Täterintrojekten' sprechen (Huber, 2003) - setzte die Anschläge der Mutter erneut in Szene, die in der Kindheit der Patientin stattgefunden hatten. 'Wegen dem stirbst du nicht. Mach weiter!' 'Nach der letzten Stunde war anfänglich viel Gedankenkreisen, ich wollte alles ergründen und erforschen. Als vieles abgespult war, kam ein Dampfkessel von Gefühlen in mir hoch: Zweifel, Ärger, Zerstörungswut. Ich sprach mit diesem aufbegehrenden Anteil: Was brauchst du? Was kann ich für dich tun, damit es dir besser geht? Ich fuhr mit dem Fahrrad in die ruhige Natur hinaus zum Brombeerpflücken. Ein Abhang mit leuchtenden schwarzen Beeren lud mich ein. Als ich das Gefäß fast voll hatte, sah ich ganz oben noch welche. Ich ging hin und pflückte. Da flog plötzlich das Gefäß weg, ich machte einen Salto rückwärts. Als ich wieder zu mir kam und die Augen öffnete, lag ich am unteren Rand des Abhangs im nassen Gras. Ich prüfte, ob ich noch ganz war, und bedankte mich für den Schutz. Leicht benommen hörte ich in mir eine befehlende Stimme: Mach mit dem Pflücken weiter, weil du noch ganz bist. Automatisch stand ich auf und fing wieder an zu pflücken. Plötzlich hielt ich inne und erkannte die Situation. Diese Stimme in mir war gewaltsam und ohne jedes Mitgefühl. Ich erkannte, dass es in mir verschiedene Anteile gab: einen Teil, der mich zerstören will, einen Teil, der mich schützt, und einen Teil, der im Notfall den Körper verlässt. Etwas Ähnliches war mir bereits vor 25 Jahren passiert, als ich den Totalschaden mit meinem Auto hatte. Eine zerstörerische Energie ergriff mich, das Auto war erfüllt damit. Ich raste von einem Stoppschild aus auf ein Verkehrsschild zu, das 150 Meter entfernt war. Das Auto überschlug sich und lag auf dem Dach. Es war völlig Schrott. Außer einem Schock und einem leichten Schleudertrauma hatte ich keine Kratzer. Die zerstörerische Energie nahm ich als etwas von außen Kommendes wahr, ebenso wie die mich schützende Lichtenergie. Ich sehe jetzt auch noch eine weitere Verbindung. Mit achteinhalb Jahren musste ich beim Heuladen helfen. Der Wagen war schon übervoll, und meine Mutter rief mir zu: Nimm das Heu und stampfe es ganz hinten außen fest. Im nächsten Moment fuhr sie dann plötzlich mit dem Traktor vorwärts. Ich flog rückwärts vom Wagen, prallte hart auf dem Boden auf und rang nach Luft. Meine Mutter kam zu mir und sagte: Wegen dem stirbst du nicht. Leg dich dort unter den Baum, bis der Schwindel vorbei ist. Ich hatte danach wochenlang Rückenschmerzen. Mit 35 Jahren ließ ich meine Rückenschmerzen medizinisch abklären. Auf dem Röntgenbild zeigte sich, dass auf der Höhe der Brustwirbel zwei Wirbel ineinander verkeilt sind. Der Arzt meinte: Sie müssen in früher Jugend einen heftigen Sturz erlebt haben. Als Kind war ich voller Fragen über meine Umwelt. Heute bin ich es in Bezug auf meine eigene Innenwelt. Wie kann ich mir selbst vertrauen, wenn ein Teil in mir ist, der mir Schaden will, mich umbringen will? Ein Teil in mir vertraut blindlings und verrät mich auch. Er ist dumm und blöd. Wie kann ich da anderen vertrauen? Ich habe das Gefühl, in mir sind viele kleine Risse und Spaltungen eingebettet in die große Spaltung zwischen Gefühl und Verstand.' Besonders bei Bindungstraumata bildet sich in einem Menschen eine komplexe Struktur von Auf- und Abspaltungen aus. Die Aufstellungsmethode kann diesen Schritt zur Selbsterkenntnis, welche unterschiedlichen Anteile in der eigenen Seele vorhanden sind, in hohem Maße fördern. Sie ist wie ein Röntgenbild für das Erkennen seelischer Strukturen. Indem er für seine Spaltungen jeweils eigene Stellvertreter auswählt, kann sich der Patient von außen beobachten und das Zusammenspiel seiner verschiedenen Anteile ansehen. Das Hinsehen aus einer Beobachterperspektive begünstigt die Herausbildung einer neuen Bewusstheitsstufe, die notwendig für den späteren Integrationsprozess der verschiedenen Seelenanteile ist. 8.2 Verstehen der gespaltenen Anteile Auch für das intensivere Kennenlernen der einzelnen Persönlichkeitsanteile ist die Aufstellungsmethode nach meinen Erfahrungen hervorragend geeignet. Die Stellvertreter verleihen den Wahrnehmungen, Gefühlen und Gedanken der einzelnen Anteile Ausdruck und Stimme. Der Patient kann sehen, was seine einzelnen Anteile bewegt, wie sehr oder wie wenig sie in Kontakt miteinander sind. Gerade bei den tieferen und primären Spaltungen sieht er, wie getrennt voneinander der traumatisierte und der Überlebensanteil existieren und sich gegenseitig kaum wahrnehmen. In der Regel ignoriert der Überlebensanteil den traumatisierten Anteil, wendet sich von ihm weg, lehnt ihn ab, hält ihn für einen Simulanten, erachtet es für sinnlos und gefährlich, sich mit ihm zu befassen, oder hat Angst davor, dass er unkontrollierte Dinge macht. Das Überlebens-Ich steht der aufdeckend arbeitenden Psychotherapie verständlicherweise sehr ablehnend und kritisch gegenüber. Traumatisierte Anteile sind in den meisten Fällen in ihrer Welt eingeschlossen, ohne Kontakt zu den anderen Anteilen und mit sich selbst beschäftigt. Sie frieren, zittern, schwanken, blicken starr auf einen Punkt auf dem Boden oder in der Ferne. Sie stehen starr da, sind wie in Watte gepackt, fühlen sich wie unter einer Glasglocke oder legen sich voller Verzweiflung eingerollt auf den Boden. Sie sind in ihren jeweils eige...
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In den Spiegel der eigenen Seele blicken