Beschreibung
Es war Jüngers Vater, der (in Heidelberg bei Victor Meyer promoviert) seinem Sohn den ersten Sammelkasten für Insekten schenkte, und dieser nutzte sogar im Ersten Weltkrieg die Gefechtspausen, um seine Sammlung zu erweitern. Dabei ist Jünger bei seinen 'Jagden', die auch ein Erinnerungsbuch für den Vater sind, dabei stets Entomologe und Schriftsteller zugleich. Dies wird auch in den Parerga deutlich, die u. a. frühe Entwürfe und Erinnerungen an den katholischen Geistlichen und Entomologen Adolf Horions enthalten.
Leseprobe
Carabus Es war Dezember; das Steinhuder Meer war zugefroren, Schnee lag auf dem Land, soweit der Blick reichte. Das versprach kaum Ausbeute. Uns waren die 'feinen Methoden' der Kenner noch unvertraut. Wir wußten nicht, daß es Schlupfwinkel gibt, die der scharfe Frost erst zugänglich macht. Zu ihnen zählen. um ein Beispiel zu nennen, die Schilfgürtel der großen Seen. an denen das Eis besonders lang brüchig bleibt. Wenn es zugänglich wird, kann man von dort einen Vorrat von dürrem Rohr eintragen. Zu Hause blättert man die gebräunten Stengel wie Papyri auf und wird dann durch den Anblick bunter Coccinellen und anderer Raritäten nicht minder erfreut als ein enragierter Ägyptologe durch den Hieroglyphentext. Man tut überhaupt gut. an eigene Schwächen zu denken, wenn man von solchen Vorlieben hört. Der eine gerät über eine vom Grünspan zerfressene Münze in Entzücken, der andere über einen Urnenscherben, der dritte über einen Heuschreck aus Sansibar. Jeder nimmt eine winzige Facette am Stein der Weisen wahr. Doch allen gemeinsam ist das Licht, das aufglänzt, und die Lust, mit der es wahrgenommen wird. Der Anblick erinnert an eine groteske Gruppe von Astronomen. die wenig voneinander wissen, obwohl die Perspektive auf denselben Stern gerichtet sind. Die Finessen des Winterfanges also waren uns noch unbekannt. Später lernte ich deren eine Menge kennen. vor allem durch die Anleitung des Lehrers Fehse aus Thale am Harz, der darin Meister war. Damals, bei unseren ersten Ausflügen, beschränkten wir uns darauf, durch den verschneiten Wald zu streifen, um alte Baumstümpfe aufzuspüren, die wir mit der Handaxt anschlugen. Sie trugen grüne Kappen aus vereistem Moos. die mit Kränzen von verdorrten Pilzen garniert waren. An andere hatten Baumschwämme sicheIförmige Konsolen angesetzt. Das Holz im Inneren war entweder zu weißem Faserstoff vergoren. oder es war rotbraun, trocken, bröckelig. Hier hatten sich die großen Caraben eingebettet und hielten Winterschlaf - frisch aus der Puppe geschlüpfte Tiere, die noch kein Licht berührt hatte. Sie glänzten in der kargen Januarsonne, einige braun oder schwarz, die meisten metallisch, von dunklen Erz- oder Bronzetönen bis zum bestürzenden Feuerrotgold. Von manchen kannten wir schon den Namen, so von der Goldleiste, einem schwarzen Ritter, dessen Rüstung ein schmaler Amethystsaum einfaßte. Das Tier gefiel mir trotz seiner Bescheidenheit. Sein Schimmer war wie das Augenzwinkern eines großen Herrn, ein Blitz des Einverständnisses durch das Visier. Wir fingen es häufig und hatten an ihm ein erstes Beispiel der Mannigfaltigkeit, die nicht nur die Familien und Geschlechter, sondern auch die Arten auszeichnet. Linne führt es in seinem 'Natursystem' von 1758 als 'violaceus' auf; er muß also ein Exemplar mit violettem Rand vor Augen gehabt haben. Wir fanden auch grün-, rosa- und goldgerandete. Ähnliche Unterschiede entdeckten wir beim Goldschmied oder Feuerstehler, der Körnerwarze, dem Garten-, dem Hain- und dem Waldläufer. Kopfzerbrechen machte auch die Farbe der Beine, die bei derselben Art vom Antimonschwarz bis zum Korallenrot eine Reihe von Übergängen durchlief. Hinzu kam, daß es bei den Kettenläufern wie bei den Kupferstichen mehr oder minder scharfe Prägungen gab. Ich bemühte mich, diese Fülle nach bestem Gewissen zu ordnen, denn von Wissen konnte noch nicht die Rede sein. Als besonders kostbar hegte ich die Tiere, die wir nur ein oder zwei Mal aus dem Holz geholt hatten, wie etwa den Goldglanzläufer, einen nordischen Zwerg innerhalb der Gattung, doch auch eins ihrer Prunkstücke. Bereits im Februar mußte ich den Vater um einen neuen Kasten bitten, denn der erste, der zur Ausrüstung gehört hatte, war schon gefüllt. Das ist ein Kreuz, das den Sammler sein Leben lang begleitet und mit den Jahren nicht leichter wird. Ein Kasten, ein Schrank, ein Zimmer folgt dem anderen, bis endlich der Besitzer selbst in Wohnungsnot gerät. Dabei ist noch nicht einmal der nötigsten Bücher gedacht, die auf die Flure v