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Keller

Roman

Erschienen am 09.03.2021, 1. Auflage 2021
Auch erhältlich als:
22,00 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783737411615
Sprache: Deutsch
Umfang: 376 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 20.5 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Nordhausen am Harz in der Goldenen Aue, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, in der Osternacht. Ein Mädchen wird von einem amerikanischen Bomberpiloten verbrannt. Seine Knochen graben sich tief in die verletzte Erde. Im Frühjahr 1953 wird über ihnen ein neues Haus gebaut. Dort wird nicht viel später wieder ein Mädchen leben, mit ihrer Familie. Die beiden, eines im anderen wiedergeboren, treffen sich. Im Keller. Das Mädchen, hellsichtig, mit den Toten und Lebenden verbunden, macht sich auf den Weg durch ein verwundetes Land. Wüst, öde, zerstört. Es schlägt sich durch Wälder, in denen grausame Götter hausen, befreit Kinder aus der Gewalt eines Systems, verbindet sich mit Tieren und Elementen. Ein Gebirge, zerklüftet und finster, Bergwerke und Kombinate, Polikliniken und Schulen, Kirchen und Kinderlager werden zu Schauplätzen, in denen Gesetze regieren, die fremd und mächtig sind. Bei jedem Schritt stößt das Mädchen auf die Schrecken eines blutigen Jahrhunderts. Um diesen Schrecken zu bändigen, sieht es ihm ins Auge. Die Welt, die das Mädchen durchstreift, genügt nicht. Sie muss noch einmal erschaffen werden. In der Nordhäuser Gegend am Harz hilft die Geistin einem müden Gott, das Gefühl der Sinnlosigkeit seiner Schöpfung zu überwinden. Gemeinsam gehen sie erneut ans Werk. Während das Mädchen sich immer konkreter und fantasierend zugleich in die Realität erzählt. So, wie es die Welt erlebt und sein eigenes Leben darin sucht, erschafft es eine Saga. Auf seiner Reise durch die kollektive Geschichte und die eigene Gegenwart, durch Erinnerungsbilder und Bewusstseinsräume, befragt das Mädchen die Gewissheiten des Lebens: Familie, Religion, Staat, Gesellschaft. Unablässig stößt es auf Grenzen. Die seines Landes, seiner Familie, die eigenen. Es will sie überspringen. Getrieben von einer brennenden Sehnsucht. Es will frei sein. Gott stirbt lächelnd. Die Geistin träumt seinen Traum. Den ganzen Schrecken noch einmal vor Augen. Die Mauer fällt. Das Mädchen legt die Hand auf seinen Bauch. In ihm entsteht ein neues Leben. Keller ist ein Plädoyer für Liebe und Menschlichkeit.

Autorenportrait

Christina Friedrich. Die Regisseurin, Produzentin und Schriftstellerin Christina Friedrich, geboren 1965 in Nordhausen, ist eine Chronistin gesellschaftlicher Bewusstseinsströmungen, die sie in vielgestaltige künstlerische Ausdrucksformen übersetzt. Nach einer Ausbildung zur Facharbeiterin für Hydrogeologie absolvierte sie ein Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst 'Ernst Busch', Berlin, erhielt sogleich ein Engagement als Hausregisseurin an das Theater Bremen und arbeitete im Anschluss als freie Regisseurin u. a. am Deutschen Nationaltheater Weimar, am Schauspiel Hannover und am Schauspiel Bonn, am Deutschen Theater Göttingen, am Luzerner Theater, am Mozarteum Salzburg, an der Philharmonie Berlin und dem Maxim Gorki Theater Berlin. Christina Friedrich lehrte als Professorin für Regie und Schauspiel an der Hochschule für Schauspielkunst 'Ernst Busch', Berlin, als Dozentin für Regie und Schauspiel an internationalen Theaterakademien und Hochschulen u. a. in Aix-en-Provence, Warschau, Zürich, Tel Aviv und am Matsumoto Performing Arts Center, Japan. Ihr internationales Rechercheprojekt KEEP ME IN MIND führt sie nach Israel, Kanada, Litauen, Polen und Frankreich. Was ihre theatralen, filmischen und literarischen Arbeiten verbindet, ist eine archäologische Spurensuche nach den durch kulturelle, ideologische und soziale Erosionen verschütteten Wurzeln unseres Verständnisses von Menschsein und Gemeinschaft. Ihre Versuche, Momente des Schweigens, der Verdrängung und der Unsichtbarkeit zur Sprache zu bringen, ziehen sich als roter Faden durch ihr gesamtes künstlerisches Werk. Ihr Debütroman Morgen muss ich fort von hier erschien 2008im Verlag C. H. Beck. Mit KEEP ME IN MIND, 2019, produzierte sie mit MADONNENWERK ihren ersten Film. 2020 folgte der Spielfilm HURENSÖHNE - EIN REQUIEM. Christina Friedrich lebt in Berlin und in Limlingerode im Harz.

Leseprobe

Der Keller des Hauses führt tief unter die Erde. Ein unterirdischer, kalter Fluss unterspült das Fundament. Man kann das Wasser riechen. Das Wasser, das von den Bergen herunter geflossen kommt, kriecht direkt in das bröckelnde Mauerwerk. Ratten und schwarze, glänzende Käfer fressen sich in die Fugen hinein. Nagen sich mit ihren Insektenzähnen in das Haus. Die Korridore im Keller sind aus Beton. In einem nicht einsehbaren Winkel ist eine schwarze Ecke. Ein Loch. Das führt in die Unterwelt. In das Jahr neunzehnhundertfünfundvierzig, in die Nacht zum ersten April. Als die Amerikaner ihre Bomben über der Stadt mit dem mittelalterlichen Stadtkern abwarfen. Ich sehe im Traum das Gesicht des Piloten hinter der gläsernen Kanzel. Er schreit: I'll kill you. Verfolgt mich durch das Altentor. Ich renne die Barfüßergasse entlang. Das amerikanische Flugzeug wirft Feuer auf mich. Die Stadt riecht verbrannt. Asche. Tote. Knochen. Brennende Steine. Schwere Bomber sind am Himmel. Ich schaue nach oben. Der Himmel ist schwarz. Die Luft dröhnt. Der Kirchturm vom Dom zum Heiligen Kreuz zittert, der Kirchturm von St. Blasii neigt sich bedrohlich. Gott kann ihn gerade noch mit einer Handbewegung auffangen. Das Tor zur Goldenen Aue, die Pforte zum Harz, brennt. Ich laufe in meinen brennenden Kleidern umher und suche meine Familie. Bald ist doch Ostern. Wer färbt jetzt mit mir Ostereier. Die Stadt fällt zusammen und verschwindet. Ich klettere über Schutt und Steinberge. Bis ich den Flieger wieder sehe. Er hat es auf mich abgesehen. Er will mich töten. Warum gerade mich. Ich winke ihm zu und zeige ihm meinen neuen Stoffhasen, mit dem ich Ostern feiern will. Der Bomberflieger zieht seine Maschine nach unten und steuert genau auf meine Stirn zu. Spinnt der. Hat der keine Familie in Michigan oder Ohio. Warum muss er mich hier töten. Ich verliere meine Sandalen, ich laufe barfuß weiter. Ich schlage Haken, ich versuche, ihn zu täuschen. Mich ganz klein zu machen. Ich löse meine Zöpfe, ich zeige ihm mein Muttermal. Ich will mit ihm eine menschliche Sprache sprechen, ich will mich mit ihm verständigen. Ich hatte noch kein Englisch in der Schule. Der Amerikaner setzt seine Sonnenbrille auf und fletscht die Zähne. Er meint es ernst. Ich verstecke mich im Hauseingang. Ich halte mich an der Türklinke fest und versuche, sie herunterzudrücken, um mich in den düsteren Hausflur zu retten. Es wird heiß. Warum ist es so heiß. Feuer auf meiner Hand. Die Haut meiner Hände klebt an der eisernen Türklinke fest. Ich sehe, wie die Farbe auf der Tür sich wellt. Bunte Farbe, traditionelle Haustürmalerei. Die Ornamente schlagen Bläschen und platzen ab. Meine Hände platzen auf. Brandblasen. Meine Haut platzt auf. Mama, gib mir Wasser. Es ist so heiß. Der Pilot lacht. Ich sehe ihn lachen, er hat sein Ziel getroffen. Um den Hals trägt er ein Kreuz. Auf dem steht: Gott schütze die Welt. Wasser. Löscht meine brennende Haut. Wo ist die Feuerwehr. Auch tot. Die unverbrannten Menschen schauen aus dem Haus. Sie halten sich die Hand vor den Mund. Es knistert auf meinem Kopf. Mein Haar brennt. Mein Hase brennt. Seine Augen aus Glas schauen mich aus einem verbrannten Knäuel Holzwolle an. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich schaue an mir herunter. Ich bin wohl nicht mehr zu retten. Ich verglühe. Ich steige schnell aus meinem Kopf aus, springe auf das Dach des Hauses und von dort aus auf den Rücken des Bombers. Ich lege meine Hände um die Kehle des Piloten und drücke zu. Seine Augen treten aus ihren Höhlen, er ruft nach Frau und Kindern in Michigan oder Ohio. Ich beiße ihm die Augen heraus. Dass er blind wird und kein Ziel mehr sehen kann. Ich reiße ihm das Kreuz vom Hals, auf dem steht: Gott schütze die Welt. Der Bomber stürzt auf mich. Auf mir liegt Metall. Später ein ganzes Haus. Das Kreuz ist verglüht. Über meiner Asche wächst schütteres Gras. Später Butterblumen. Diese kleinen Gelben, die so glänzen. Ich kann mir keinen Kranz mehr aus ihnen flechten. Meine Kinderknochen liegen unter der Erde. Im Frühjahr neunzehnhundertdreiundfünfzig kommt ein Bagger. Er hebt ein Fundament aus. Auf meinen Knochen wird ein neues Haus gebaut. Von der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft. Ich bin in dem neuen Haus eingemörtelt. Ich wohne im Keller. Da, wo mich keiner sieht. Ich lauere im Dunkeln. An der oberen Stufe zum Hausflur, den ich nicht erreicht habe, steht ein Mädchen. Es tastet nach dem Lichtschalter und trägt einen leeren Eimer. Ich weiß, es muss Kohlen holen. Es fürchtet sich, das Mädchen. Es riecht mich.

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