Beschreibung
Diese Buch ist ein Schlüsselwerk zur Aufarbeitung der elsässischen Geschichte und zum Verständnis der elsässischen Mentalitäts- und Kulturbesonderheiten.
Leseprobe
Analyse des elsässischen Patriotismus Über die Inbrunst des elsässischen Patriotismus ist alles gesagt. Von Erckmann-Chatrian bis hin zu Barrès und Bazin haben ihm die unterschiedlichsten Schriftsteller ihre Zeilen gewidmet, die zu den schönsten ihrer Werke zählen. Heute weiß jeder, dass die Elsässer seit der Revolution auf allen Schlachtfeldern standen, jeder kennt ihren Heldenmut in den politischen Kämpfen, die sie zwei Mal mit den Deutschen führen mussten. Im letzten Krieg haben das großartige Epos der Brigade Alsace-Lorraine ebenso wie die Glanztaten zahlreicher Elsässer in den Kämpfen der Résistance ein weiteres Kapitel einer schon glorreichen Geschichte geschrieben. Man hat diese patriotische Begeisterung damit erklären wollen, dass die Elsässer dadurch, dass sie an der Grenze leben, ständig vom Feind bedroht sind. Daher ihr unablässig durch die Gefahr angestachelter Eifer. Es steht außer Zweifel, dass die Bevölkerung des französischen Ostens generell patriotischer ist als die der anderen Regionen. Doch das erklärt nicht die besonderen Formen des elsässischen Patriotismus, die so anders sind als etwa die des lothringischen Patriotismus. Die Wahrheit liegt darin, dass der elsässische Patriotismus anders sogar als der der Lothringer auf einer freiwilligen Zugehörigkeit, auf einer freien Entscheidung beruht. Er ist keine Naturerscheinung. Die Burgunder, die Provenzalen, die Pariser sind sozusagen Patrioten, ohne es zu wissen. Bei den Elsässern ist das nicht so. Sie mussten sich zwischen zwei Nationen entscheiden, die um ihr Land und ihre Seele kämpften, und sie haben ihre Wahl getroffen. In ihrem Patriotismus liegt ein Moment der Freiwilligkeit, das bei den anderen fehlt. Die Elsässer wissen, warum sie ihr Vaterland lieben. Was bestimmt ihre Entscheidung? Um diese Frage zu be-antworten, müsste man alle Vorteile aufzählen, die die fran-zösische Zivilisation gegenüber der deutschen hat, und die Gründe analysieren, aus denen sie nach wie vor für die be-nachbarten Völker anziehende Wirkung hat. Wir haben einige dieser Gründe beim Studium des elsässischen Minderwertigkeitskomplexes untersucht. Alles, was französisch ist, genießt ein hohes Ansehen, dessen Wesen indes schwer erklärbar ist. Die Elsässer sind diesem Prestige erlegen. Die am meisten Gebildeten hängen an den schönen Künsten und der Literatur unseres Landes, die Frauen schätzen dieses wegen seines guten Geschmacks, alle mögen es wegen der einfachen und angenehmen Manieren seiner Bewohner, aber nicht weniger wegen dieser Freiheit, die es der Welt im Verlauf der großen Revolution zu schenken vermochte. Über diese Erwägungen hinaus entzieht sich jedoch der tiefere Grund für die Wahl der Elsässer jeglicher Analyse. Es handelt sich um ein erotisches Phänomen. "Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt." Dieses affektive Element unterscheidet den elsässischen Patriotismus grundlegend von dem der anderen Franzosen. Und doch ist der elsässische Patriotismus keine einfache Erscheinung. Er ist fast immer mit dem einen oder anderen der Komplexe vermischt, die wir analysiert haben und deren Ursprung und Ausdruck er gleichermaßen ist. Wie wir sehen konnten, macht ihre Dualität die Elsässer zu überaus komplizierten Wesen. Deswegen haben bei ihnen die politischen Probleme ein übergroßes Ausmaß angenommen, sodass sie gewissermaßen das Gerüst ihrer Psyche bilden. Ihr Patriotismus spiegelt also die unterschiedlichsten Gefühle, die verschiedensten Bedürfnisse wider. Er bietet daher ein Ensemble an Komponenten, die es nun zu analysieren gilt. Die wichtigste darunter ist vielleicht die soziale Komponente. Ebenso wie von den Motiven, die wir erotisch genannt haben, ist die Entscheidung der Elsässer zugunsten Frankreichs von deren Minderwertigkeitskomplex determiniert. Wie wir gesehen haben, fühlen sich die Elsässer häufig erdrückt und wie gedemütigt von den Franzosen, in denen sie Vertreter einer Zivilisation sehen, die sie zu Recht oder zu Unrecht als ihrer e