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Tel Aviv - Berlin

Geschichten von tausendundeiner Straße

Erschienen am 12.05.2014, 1. Auflage 2014
19,99 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783890294384
Sprache: Deutsch
Umfang: 285 S., 59 farbige Illustr., 59 Illustr.
Format (T/L/B): 2.8 x 22 x 14.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Fredy Gareis hat sich einiges vorgenommen: eine Reise von Tel Aviv nach Berlin, mit einem alten Stahlrad, ohne jedes Training. 5000 Kilometer, die ihn durch Länder wie Jordanien, Libanon, Albanien und Kosovo führen. Auf seiner Fahrt durch blühende und vernarbte Landschaften sammelt er die Geschichten der Bewohner mit über vierzig Konfessionen ein - manchmal lachend, manchmal verzweifelnd, immer mit Gespür für politische und geschichtliche Hintergründe. Er trifft auf Saddam, den Obsthändler, und auf alte UCK-Kämpfer. Auf Menschen, die von Deutschland träumen, und auf Priester, die ihn mit Raki abfüllen. Er muss mit Überfällen und Nahtoderlebnissen klarkommen. Und wird schließlich zum philosophierenden Radnomaden und Asphaltcowboy.

Autorenportrait

Fredy Gareis, 1975 in Kasachstan geboren, arbeitet seit 2007 als freier Journalist für DIE ZEIT, Tagesspiegel und Deutschlandradio. Von 2010 bis 2012 berichtete er aus Israel und dem Nahen Osten. Für die in der ZEIT erschienene Reportage »Ein Picasso in Palästina« wurde er mit dem Journalistenpreis des Deutschen Kulturrats ausgezeichnet. Bei Malik erschienen von ihm »Tel Aviv - Berlin« und »100 Gramm Wodka«. www.fredygareis.com

Leseprobe

Twenty years from now you will be more disappointed by the things you didn't do than by the ones you did do. MARK TWAIN   PROLOG Die Sonne bringt die Luft zum Flirren, sie strahlt auf die judäischen Wüstenberge, sie brezelt auf meinen glatt rasierten Kopf, bringt mich zum Schwitzen: In Strömen läuft es an mir herunter, so viel Wasser sieht das Westjordanland nicht alle Tage. Ich muss kämpfen auf dieser steilen Straße zwischen Bethlehem und Ma'ale Adumim, zwischen palästinensischem Westjordanland und israelischem Siedlungsgebiet. Ich keuche, trete rhythmisch, bin aber so langsam, dass ich auch schieben könnte. Der Verkehr röhrt an mir vorbei. Ich versuche, nicht auf die grauen Befestigungen des israelischen Checkpoints am Ende der Straße zu schauen, hefte meinen Blick auf den Asphalt, bewege mich auf meinem Rad von der einen zur anderen Seite, schwankend wie ein Wüstenkamel. Ich konzentriere mich auf meine Atmung, auf die Muskeln in meinen Beinen, auf die Körnung des Asphalts. Ein Auto schiebt sich von links in mein Blickfeld, eine schwarze Skoda-Limousine, sie schneidet mir den Weg ab und kommt direkt vor mir zum Stehen. Zwei Männer steigen aus. Zwei bleiben im Fond und werfen mir durch das Rückfenster Blicke zu, die scharf sind wie gewetzte Messer. 'POLICE!', schreit einer der Ausgestiegenen, ein breitschultriger Mann mit Schnauzer und schwarzem, dreckigem T-Shirt. Sein Unterarm ist voller Tätowierungen, primitiven Stechereien, ohne Maschine in die Haut geritzt. Police my ass. Sein Kollege geht um mich herum, schneidet mir den Fluchtweg ab. Er legt die Hand an die Hüfte, als wäre er bereit, ein Messer, eine Knarre zu ziehen. Er ist schmal und hat einen krummen Rücken, schulterlange, fettige Haare. Hinterhältig sieht er aus, fies wie ein Schurke aus 'Tausendundeiner Nacht'. Schnauzer tritt dicht an mich ran. Er rüttelt an meiner Lenkertasche. 'Can I see ID?', frage ich und weiß doch, dass ich keine sehen werde. Schnauzer rüttelt weiter an der Lenkertasche, er will sie aufreißen, scheitert am Ortlieb-System. Er schreit mich wieder an: 'MONEY! TELEPHONE!' Ich rieche seinen fauligen Atem. Meine Scheiße, wie bin ich bloß auf diese verrückte Idee gekommen, hier durchzufahren? Ah ja, ich wollte ein Abenteuer. Nach zwei Jahren als Korrespondent im Nahen Osten war ich konfliktmüde, nach sieben Jahren als freier Journalist medienmüde. Fühlte mich wie ein Parasit, der nur von den Geschichten der anderen lebt. Aber wo war meine eigene dabei geblieben? Wann hatte ich zum letzten Mal meiner Stimme zuhören können? Immer übertönt vom Grundrauschen des Arbeitsalltags. Vor Jahren hatte ich über ein paar sehr mutige Frauen geschrieben. Eine von ihnen war Roz Savage (wie großartig ist denn dieser Nachname?), eine Bankerin in der Londoner Hochfinanz, sie hatte Haus, Auto, Mann und noch eine Menge mehr, aber eines Tages, in Sichtweite ihres 40. Geburtstages, setzte sie sich hin und seufzte. Sollte das alles sein? Sie schrieb auf ihrem teuren, persönlichen Papier ihren Nachruf. Sie las die kurzen Zeilen, sie zerknüllte das Blatt, sie machte einen neuen Versuch. Diesmal flossen die Zeilen nur so aufs Papier. Roz schrieb auf, wie man sich an sie erinnern sollte. Sie kündigte ihren Job. Ruderte die Themse runter. Dann überquerte sie den Atlantik. Dann den Pazifik. Alles alleine. Ich traf sie auf Hawaii. Roz hatte ihre sandblonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und packte Lebensmittel in ihr Boot für die letzte Etappe nach Australien. Zu Hause sagten Freunde, wie geil, dass dich jemand dafür bezahlt, ein Interview auf Hawaii, Mensch, Journalisten haben vielleicht ein Leben. Dabei wäre ich am liebsten mit in das Boot gehüpft und hätte mich in den nächsten Monaten von Erdnussbutter und Sardinen aus der Dose ernährt und dem Schlagrhythmus der Ruder hingegeben. Der Redakteur kam mit diesem Wechsel von der Hochfinanz auf einen niedrigen Rudersitz überhaupt nicht klar. 'Warum', fragte er immer wieder, 'warum macht die das? Ist die ve

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