Beschreibung
Als Leser macht man sich kaum ein Bild von den Anforderungen des Schreibprozesses. Wie sich eine Idee verwandelt, entgleitet und einer neuen Idee weichen muß - darüber schreibt der Autor des Erfolgsromans "Kruso", Lutz Seiler, in seiner lebendigen Erzählung "Von Rom nach Hiddensee". Er berichtet mit Offenheit und subtilem Witz von den unvorhersehbaren Einflüssen, die sein Aufenthalt in der "Villa Massimo" in Rom auf ein geplantes Romanprojekt hatte - und wie am Ende aus den Trümmern einer Idee die Geschichte von "Kruso" geboren wird. Ein lebendiger Text über das Schreiben, über das Bittersüße des Schaffensprozesses. Auch hier beweist der Autor sein Talent für die Magie des Augenblicks, in dem Freude und Traurigkeit eng miteinander verbunden sind.
Autorenportrait
Lutz Seiler wurde in Gera geboren. Während der Wehrdienstzeit begann er sich für Literatur zu interessieren und selbst Gedichte zu schreiben. Bis 1990 studierte er Germanistik an den Universitäten in Halle (Saale) und in Berlin. Von 1993 bis 1998 war er einer der Herausgeber der Literaturzeitschrift Moosbrand. Er hat zahlreiche Essays, Gedichtbände und Erzählungen publiziert. Für sein im September 2014 erschienenes Romandebüt Kruso erhielt er den Deutschen Buchpreis. Seiler lebt in Wilhelmshorst im Peter-Huchel-Haus und in Stockholm.
Leseprobe
Anfang 2011 zogen wir für ein knappes Jahr um und wohnten in der Villa Massimo in Rom. Alles, was ich wollte, war schreiben. Endlich schreiben, und endlich würde Zeit genug dafür sein, eine lange, ungestörte Zeit, ohne Pflichten, ohne Reisen. Schon am Abend unserer Ankunft setzte ich mich in mein zehn oder zwölf Meter hohes Atelier, diesen riesigen Hallraum mit Fensterfront und Licht ohne Ende, um ihn endlich zu beginnen: den Roman. Einen Roman in römischem Licht mit Ausblick auf traurige Pinien und Zypressen, dabei wäre mir die Leselampe auf dem Tisch genug gewesen, "meine Lampe und mein weißes Papier", wie es Gaston Bachelard so treffend beschreibt: "Der wahre Raum für eine einsame Arbeit ist in einem kleinen Zimmer der von der Lampe erhellte Kreis." Meinen römischen Arbeitsraum hatte man einstmals für Bildhauer erdacht, Bildhauer vor hundert Jahren wohlgemerkt, die allesamt noch Reiterstandbilder machten, gigantische Statuen.