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Kampf der Systeme

Das geteilte und wiedervereinigte Deutschland

Erschienen am 24.09.2020, 1. Auflage 2020
26,00 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783957682178
Sprache: Deutsch
Umfang: 388 S., 10 s/w Tab., 12 Schaubilder
Format (T/L/B): 3 x 23.8 x 16 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die Vereinigung von Bundesrepublik und DDR erfolgte nicht auf Augenhöhe, sondern als Beitritt eines unterlegenen Systems zu einem wirtschaftlich und politisch erfolgreicheren. Sie war weder ein Anschluss oder eine Übernahme noch eine Einverleibung. Die Deutschen hatten 45 Jahre in unterschiedlichen, in den meisten Bereichen sogar gegensätzlichen Systemen gelebt. Bis zum heutigen Tag wirken die jeweiligen systembedingten Prägungen ebenso wie die Erfahrungen im Transformationsprozess bei vielen Menschen nach. Die beiden Deutschlands bildeten gleichsam die Speerspitze im jahrzehntelangen Kampf der Systeme, den die freiheitlichen Demokratien des Westens gegen die sozialistischen Diktaturen des Ostens gewannen. Je länger die Teilung zurückliegt, desto blasser wird jedoch die Erinnerung daran, warum das westliche Gesellschaftsmodell siegreich war. Ja, im wiedervereinigten Deutschland besteht heute sogar die Gefahr, dass die Erfolgsrezepte in Vergessenheit geraten. 1989/90 war die DDR am Ende. Doch der Blick darauf wird immer unschärfer. Viele problematische Entwicklungen werden dem Wiedervereinigungsprozess und nicht der DDR-Schlussbilanz angelastet. Häufig vernachlässigen Betrachtungen des Transformationsprozesses wichtige Fakten oder stellen sie in einen verkehrten Zusammenhang, so dass ein falsches oder zumindest irreführendes Bild entsteht. Für die meisten Westdeutschen ging nach 1990 das Leben, abgesehen von finanziellen Einbußen, weiter wie zuvor, für Ostdeutsche änderte sich nahezu alles. Sie mussten ins kalte Wasser einer unvertrauten Ordnung springen und sich neu orientieren. Trotz Wohlstandsexplosion und sozialer Abfederung des ökonomischen Umbruchs erlebten nicht wenige Ostdeutsche die ersten beiden Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung auch als Verlustgeschichte. Die letzten drei Jahrzehnte - so das Fazit des renommierten Zeithistorikers Klaus Schroeder - können ohne eine faktenbasierte Betrachtung der Teilung und des Transformationsprozesses nicht angemessen charakterisiert und eingeordnet werden. Teilung und Wiedervereinigung sind zwei Seiten der gleichen Medaille!

Autorenportrait

Klaus Schroeder ist Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und wissenschaftlicher Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat. Zu seinen Spezialgebieten zählen der deutsche Teilungsprozess und die Geschichte der DDR, über die er zahlreiche Publikationen vorgelegt hat, u. a. das Standardwerk »Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR«. Zur Wiedervereinigung hat er ebenfalls viele Beiträge veröffentlicht.

Leseprobe

Einleitung Selbst dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung sind sich viele ­Menschen in Ost und West fremd geblieben, schimmern ihre unterschiedlichen Befindlichkeiten und Auffassungen über Politik und ­Gesellschaft durch und finden nicht zuletzt Niederschlag in einem unterschiedlichen Wahlverhalten. Links- und rechtspopulistische Parteien erleben im Osten deutlich stärkeren Anklang als im Westen. Gleiches gilt für den Rechtsextremismus, während der Links­extremismus vor allem in einigen westdeutschen Großstädten größere ­Bedeutung als der Rechtsextremismus hat. Gleichwohl ist sich, was oft übersehen oder unterschlagen wird, eine breite Mehrheit in beiden Landesteilen einig, dass die Wiedervereinigung Anlass zur Freude und nicht zur Sorge ist. Die Vergangenheit, die Teilung des Landes, und der Wiedervereinigungsprozess hinterlassen jedoch weiterhin Spuren, die verhindern, dass entstandene Gräben zugeschüttet werden können. Dieses Buch befasst sich mit den diametralen Prägungen in unterschiedlichen, in vielen Bereichen sogar gegensätzlichen Systemen, mit dem damit verbundenen innerdeutschen Wettbewerb der politischen, ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Ordnungen, der letztlich ein Kampf der Systeme war, sowie mit der Entwicklung nach der Wiedervereinigung insbesondere im Osten, weniger im Westen. Die DDR der kleinere deutsche Teilstaat verabschiedete sich am 3. Oktober 1990 nach 41 Jahren von der Bühne der Geschichte. Die Bundesrepublik, die sich immer als deutscher Kernstaat und als Staat für alle Deutschen verstanden hatte, nahm auf Antrag der einzigen frei gewählten Volkskammer der DDR die inzwischen formal ­gebildeten neuen Länder in ein wiedervereinigtes Deutschland auf. Die Verfassung der Bundesrepublik, das Grundgesetz, das sich über Jahrzehnte als Verfassung bewährt hatte, wurde ebenso wie die politischen und gesellschaftlichen Institutionen im wiedervereinigten Deutschland beibehalten. Die Wiedervereinigung war ein Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, weder ihre Übernahme und noch ihr ­Anschluss oder gar eine Einverleibung. Aufgrund der unterschied­lichen politischen und ökonomischen Ausgangslage konnte sie jedoch nicht auf Augenhöhe erfolgen. Für die meisten Westdeutschen ging das Leben, abgesehen von erheblichen finanziellen Einbußen, weiter wie zuvor, für Ostdeutsche änderte sich nahezu alles. Sie mussten ins kalte Wasser der neuen Ordnung springen und sich neu orientieren. Während die älteren Ostdeutschen 57 Jahre in unterschiedlichen, nicht gleichzusetzenden Diktaturen lebten, hatten sich die Westdeutschen dagegen nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur an die freiheitliche Demokratie gewöhnen können. Sie taten sich anfangs schwer, die neue Ordnung positiv zu werten, aber mit dem ökonomischen Aufschwung, dem sogenannten Wirtschaftswunder, und dem Ausbau des Sozialstaates wuchs die Akzeptanz deutlich an. Die parlamentarische ­Demokratie galt spätestens seit den frühen 1960er-Jahren nahezu bei allen als ­Synonym für Freiheit und Wohlstand. Zweifel an der Überlegenheit ihres Systems gegenüber dem sozialistischen der DDR hegten nur ­wenige politisch weitgehend bedeutungslose Parteien und Gruppen. Die Annahme, der Erfolg des eigenen Systems werde das andere zum Einsturz bringen, vertraten lange Zeit führende Politiker in West und Ost. Die beiden Deutschlands bildeten gleichsam die Speerspitzen im jahrzehntelangen Kampf der Systeme, den die freiheitlichen Demokratien des Westens gegen die sozialistischen Diktaturen des Ostens gewannen. Je länger die Teilung zurück liegt, desto blasser wird jedoch die Erinnerung, warum das westliche ­Gesellschafts­modell siegreich war. Ja, im wiedervereinigten Deutschland besteht heute ­sogar die Gefahr, dass die Erfolgsrezepte in Vergessenheit geraten. Anhand verschiedener zentraler und besonders signifikanter Ereig­nisse rekonstruiert das zweite Kapitel, warum die Bundesrepublik der DDR in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen überlegen war und für Millionen Menschen, die von Ost nach West flohen, zum Anziehungspunkt und für die Mehrzahl der Verbliebenen zum Wunschtraum wurde. Als sich die beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 gründeten, ­waren die Weichen für unterschiedliche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungen bereits gestellt. Das Modell Bundesrepublik fußte auf einer freiheitlichen Demokratie mit einer sozialen Marktwirtschaft, das ostdeutsche auf einer sozialistischen Ein-Parteien-Diktatur mit zentralistischer Planwirtschaft. So standen sich von 1949 bis 1990 zwei deutsche Staaten gegenüber, die auf konträren politischen Ordnungsprinzipien fußten: Gewaltenteilung versus Gewalteneinheit, föderaler Staatsaufbau versus Zentralstaat, Parteienkonkurrenz versus Einheitspartei und politische Gleichschaltung, Wettstreit der Ideen versus Erkenntnismonopol, Freiheit versus Zwang und Gewaltandrohung sowie einklagbare Grund- und Menschenrechte versus Unterordnung dieser Rechte unter das von der SED definierte angebliche 'Wohl des Volkes'. Gleiches gilt für die Wirtschaftsordnung: Der sozialstaatlich gezähmte Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft, legte den Grundstein für eine Wohlstandsexplosion, die auf verstaatlichten Betrieben fußende zentralistische Planwirtschaft lieferte Ergebnisse, die im Laufe der Jahrzehnte immer weiter hinter denen des Westens zurückblieben. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) war anders als viele Nachgeborene aufgrund ihres Namens annehmen, keine sozialistische, sondern eine genuin kommunistische Partei nach sow­jetischem Vorbild. Sie reklamierte für sich die Führungsrolle und eine historische Mission und definierte sich als Vollstreckerin geschichtlicher Gesetzmäßigkeiten. Auf der Tagesordnung standen die Überwindung des Kapitalismus, der Aufbau des Sozialismus und der spätere Übergang zum Kommunismus. In diesem Verständnis war 'Freiheit' allenfalls die Einsicht in die Notwendigkeit historischer Entwicklungsprozesse. Zu dem kommunistischen Ideal einer politisch und sozial homogenisierten Gesellschaft passten nur Individuen, die sich entsprechend den von der Partei vorgegebenen 'gesellschaftlichen Erfordernissen' verhielten. Im Vordergrund herrschte in allen Institutionen des Bildungssystems vom Kindergarten bis zur Universität das Bestreben, das Individuum in ein Kollektiv einzufügen, um die Werte der sozialistischen Gesellschaft hoch zu halten und die Entwicklung der Individuen zu steuern und zu kontrollieren. Die weitgehende Kollektivierung sozialer Beziehungen sollte Konformität auch jenseits repressiver Maßnahmen herstellen. Die SED strebte die ideologische Vervollkommnung des Einzelnen zum '­neuen Menschen' bzw. zur 'sozialistischen Persönlichkeit' an. Die immer wieder propagierte Formel von der Notwendigkeit der 'Arbeit mit den Menschen' stand für einen umfassenden Erziehungsanspruch und damit auch für die Aufrechterhaltung einer Erziehungsdiktatur. Ob und in welchem Maß das über die Jahrzehnte der DDR-Existenz gelungen ist, lässt sich nicht ermessen, da die äußere Fassade der ­Anpassung und des Konformismus bei vielen nicht unbedingt identisch war mit den nur in kleinem (mutmaßlich) vertrautem Kreis ­geäußerten Auffassungen. Die wirtschaftliche und soziale Umgestaltung der Gesellschaft erstickte private Initiativen jenseits staatlicher Vorgaben. Wie in der politischen Sphäre existierte auch in der Wirtschaft kein Wettbewerb. Die von der Kommunistischen Partei gesteuerte Staatliche Plankommission gab die Richtung für die Wirtschaftssubjekte detailliert vor. Da eine zentralistische Planwirtschaft keine freie Preisbildung kennt, sondern auf administrative Preise setzt, die bestenfalls zufällig Knappheitsrelationen widerspiegeln, mündet sie zwangsläufig in dem Versuch der 'Diktatur über die Bedürfnisse' (Agnes Heller). Doch dieser Versuch scheiterte in der DDR ebenso wie in den anderen vom sowjetischen Sozialismusmodell geprägten Staaten. Die Monopolpartei maßte sich an, den Menschen vorzusc...

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