Beschreibung
Auf dem Kleinen Feldberg im Taunus überwacht der 82-jährige Geologe Luis den Seismographen und wertet die Daten aus. Seine einzigen Nachbarn in der einsam gelegenen Erdbebenwarte sind das Verwalterehepaar Konrad und Charlotte. Mit deren Sohn Lorenz verbindet Luis eine tiefe Freundschaft, aber Lorenz will raus aus dem ewigen Nebel des Feldbergs. Als nach einem Beben im Rheinland eine verängstigte junge Frau in der Station anruft und Lorenz um Hilfe bittet, verliebt er sich in ihre Stimme. Noch in derselben Nacht fährt er zu ihr und beginnt eine Verwicklung, die fatale Folgen mit sich bringt.
Autorenportrait
Dirk Kurbjuweit, 1962 in Wiesbaden geboren, war von 1990 bis 1999 Redakteur bei der ZEIT, dann beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel als Reporter, stellvertretender Leiter des Hauptstadtbüros, politischer und heute stellvertretender Chefredakteur. Wichtigste Preise: Egon-Erwin-Kisch-Preis (1998 und 2002), Medienpreis des Deutschen Bundestags (2009), Roman-Herzog-Medienpreis (2011), Deutscher Reporterpreis (2012). Mehrere seiner Romane wurden fürs Kino verfilmt und für die Bühne dramatisiert. Bei Hanser zuletzt erschienen: Alternativlos (Merkel, die Deutschen und das Ende der Politik, 2014) und Die Freiheit der Emma Herwegh (Roman, 2017).
Leseprobe
Er war müde. Er trank ein Glas Wasser. Das Telefon klingelte erneut. Alles Angsthasen, dachte er. «Kühnholz.» «Hallo, ist dort die Erdbebenwarte?» Die Stimme einer Frau. «Ja, hier ist die Erdbebenwarte.» «Das Haus hat gewackelt, ganz schlimm, ich bin im achten Stock. Ich weiß nicht.» «Wo sind Sie?» «In meiner Wohnung.» «Ich meine, in welcher Stadt?» «Köln.» «Ihnen kann nichts passieren. Es war ein Beben der Stärke vier. Die Häuser halten das aus. Legen Sie sich schlafen. Sie sind in Sicherheit.» «Ich weiß nicht, ich mache mir Sorgen, das Geschirr ist kaputt, so schlimm war es noch nie.» «Sind Sie allein?» «Ja, mein Mann ist. er ist nicht da.» «Gehen Sie schlafen, es ist alles.» «O Gott, es geht wieder los, Hilfe, das Haus stürzt ein, Gott, es kippt, nein.!» «Das Haus kippt nicht, es passiert Ihnen nichts, bleiben Sie ruhig.» Schweigen. «Hören Sie, es ist nur ein Nachbeben, es ist gleich vor- bei.» «Helfen Sie mir, bitte.» «Es gibt immer Nachbeben, Sie sind schwächer als das erste Beben, es ist ganz normal, Ihr Haus hält das aus, wirklich, vertrauen Sie mir. Hallo?» Er lauschte. «Hallo? Sind Sie noch da?» Er lauschte wieder. «Sie müssen nicht weinen. Es ist alles gut. Vielleicht kommt noch ein Nachbeben, aber es wird sehr schwach sein.» Er hörte, wie sie sich eine Zigarette anzündete und rauchte, tiefe Züge. «Die Giraffe ist kaputt.» «Bitte?» «Der Hals ist abgebrochen.» «Was für eine Giraffe?» «Ich habe eine Giraffe, habe ich mir aus Afrika mitgebracht, über zwei Meter hoch, ganz schmal, aus dunklem Holz. Sie hat einen kleinen Kopf, aber sehr große Ohren. Sie ist eben umgefallen, der Hals ist gebrochen. Es sieht so traurig aus, wie sie da liegt.» «Kann man das nicht kleben?» «Weiß nicht.» «Kann man bestimmt.» «Ich habe gar keinen Mann.» Er schwieg. «Ich rauche auch nicht. Es sind seine Zigaretten.» «Wessen Zigaretten?» «Von meinem Mann. Er hat sie hier gelassen. Seit vier Monaten ist er weg. Die Giraffe habe ich mir aus Sambia mitgebracht, ganz billig. Die verkaufen sie am Straßenrand. Erst dachte ich, dass ich sie nicht ins Flugzeug kriege, war aber kein Problem. Tut mir Leid, dass ich die Kontrolle verloren habe, Sie müssen ja denken.» «Schon gut. Im achten Stock fühlt es sich bestimmt schlimm an.» «Aber der Ausblick ist schön. Ganz Köln, der Rhein, der Dom. Was trinken Sie da?» «Wasser, ich trinke Wasser. Ich hatte schon geschlafen.» «Ich auch.» Sie lachte leise. «Wenn Sie mich jetzt sehen könnten.» «Was? Was wäre dann?» «Na ja, ich war schon im Bett.» Sie schwiegen. «Und Sie, Sie sind für Erdbeben zuständig?» «Ich bin bei der Bundesbank.» «Ach, die kümmert sich auch um Erdbeben?» «Irgendwie schon, ja, Sie haben Recht.» Sie lachten. Er trank, sie rauchte. «Soll ich Ihnen meinen Ausblick beschreiben? Also, hier vorne ist der Rhein, und da spiegeln sich die Lichter drin, und da ist die Deutzer Brücke, die ist aber nicht schön, die Eisenbahnbrücke ist schön, so schön gebogen, aus Eisen, so von früher, wissen Sie. Und dann der Dom, ich mag den Dom, ich dachte immer, dass er da ist, um mich zu beschützen, nicht, weil ich katholisch wäre oder so, sondern weil es der Dom ist und. ich habe immer noch Angst.» «Es ist alles in Ordnung, erzählen Sie weiter.» «Ich.» Sie kicherte. «. komisch, ich habe ein rostrotes Nac Leseprobe