Beschreibung
In Abschied von den Kriegsteilnehmern erzählt Hanns-Josef Ortheil von der Flucht eines jungen Mannes nach Amerika, wo er den Bildern von Krieg und Nachkrieg entkommen will, die ihn seit dem Tod seines Vaters obsessiv verfolgen. Zum Mississippi, nach New Orleans und in die Karibik führt diese immer manischer werdende und Schrecken auslösende Flucht, bis der Sohn wieder den Weg nach Europa findet, wo mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 gerade die Vater-Epoche zu Ende geht. Abschied von den Kriegsteilnehmern ist eine große Elegie auf die deutsche Nachkriegszeit: Ein Roman über Väter und Söhne, über Bilder und Vorbilder.
Autorenportrait
Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis, dem Stefan-Andres-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.
Leseprobe
Überall suchten ihn meine Augen, aber er kam mir nicht wieder. Und ich haßte alle Dinge, weil sie ihn mir nicht wiederbringen konnten, weil sie mir nimmer sagen konnten: sieh, da kommt er, wie früher wohl in den Tagen seines Lebens, da er fort war und wiederkommen sollte. Und mir selber ward ich zum großen Rätsel. Augustinus, Confessiones . Als ich aber aus der kleinen Leichenhalle des Dorfes ins Freie trat, schlugen mir die Sonnenstrahlen gerade ins Gesicht, und während ich geblendet weiterging und weiter versuchte, ruhig, langsam und sicher aufzutreten, aufzutreten auf dem noch feuchten Kies, in dem ich jeden einzelnen Stein zu erkennen glaubte, dachte ich immer nur, daß es nichts sei, dies hier, gar nichts, nichtiges Gehen, sonst nichts, und so ging ich mit diesem verschleppten Gang hinter dem auf dem kleinen Karren vor mir dahinschwankenden Eichensarg her, in dem die Leiche meines Vaters liegen mußte. Ich konnte mich in diesen Momenten nicht an meinen Vater erinnern, ja, ich versuchte es nicht einmal, sondern ging, wie ich mir befahl, nur langsam und ruhig hinter dem Sarg her und versuchte, alle Erinnerung aus meinen Gedanken fortzuschaufeln, um nichts, rein gar nichts zu empfinden. Nein, dachte ich nur, in diesem Sarg liegt nicht die Leiche meines Vaters, nein, mein Vater ist irgendwo, jedenfalls nicht in diesem Sarg, wie sollte er denn auch in diesen Sarg gelangt sein, wer hätte ihn hineingelegt, und wenn überhaupt., dann hätte er ja zuvor gestorben sein müssen. Neinnein, dachte ich weiter, natürlich ist Vater nicht gestorben, noch nicht jetzt, irgendwann wird er sterben, aber noch lebt er ja, er lebt, vielleicht nicht ganz gesund, vielleicht mit seinen geringen Alterskräften, er lebt oben in dem kleinen Haus, das er sich auf der höchsten Erhebung der Gegend, gerade unter dem trigonometrischen Punkt erbaut hat, er lebt in diesem seinem eigenen Denkmal, in diesem Haus eines Vermessers, eines Geodaten, das nur ein Haus gerade unterhalb eines trigonometrischen Punktes sein konnte. Dort würde er in irgendeinem Sessel sitzen und lesen, so dachte ich, und der Eichensarg, der hier vor mir über den feuchten Kies geschoben wurde, war nur irgendein Sarg, jedenfalls keiner, in dem sich etwas befand, was auch mich anging, und erst recht nicht mein Vater. Die Sonnenstrahlen blendeten mich so stark, daß ich dauernd auf den Boden schauen mußte, und auf dem Boden glitzerten plötzlich die Kieselsteine als feurige Spektren und tanzten mir ihre Farben vor, und ich stierte nur auf diesen unter mir dahinfließenden Teppich, den irgendwer nun auch seitwärts, da, wo meine Mutter vor sich hin stolperte, entlangzog, so daß ich sie am Arm nahm, meine Mutter, die aus unerfindlichen Gründen neben mir ging, weil sie dem schlimmen Wahn verfallen war, in dem vor uns dahinholpernden Eichensarg befinde sich die Leiche meines Vaters. Schon oft hatte meine Mutter mich mit solchen Irrtümern verstört, in den letzten Jahren hatte sie es geradezu darauf angelegt, mich immer wieder zu irritieren, indem sie mich an den entlegensten Orten angerufen hatte, um mir mitzuteilen, daß es meinem Vater nicht gut gehe, daß es ihm schlecht, schlechter, miserabel gehe, daß der Tod bevorstehe, daß der Tod angekündigt, aufgeschoben, verdrängt, abgespeist sei, und jedesmal hatte ich sie noch beruhigen können, manchmal freilich nur dadurch, daß ich in das Haus unterhalb des trigonometrischen Punktes gefahren war, in mein Elternhaus also, in dem ich zu den Zeiten meiner Aufenthalte das obere Stockwerk mit dem unendlichen Blick in die Landschaft bewohnte, einem geradezu überwältigenden Blick, in dem es kaum Einzelheiten, sondern nur den Rachen der Weite gab. Dort hatte ich meist einige Tage zugebracht, treppauf, treppab, immer dem Mienenspiel meines Vaters auf der Spur, seinen Stimmungen ergeben, seinen Launen folgend, mit dem Blick nicht in die Weite, sondern in das immer schärfer, prägnanter und asiatischer werdende Gesicht meines Vaters, und ich hatte wie selbstve Leseprobe