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Ein General in der Bibliothek

Erzählungen

Erschienen am 10.02.2004
21,50 €
(inkl. MwSt.)

Lieferzeit unbestimmt

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446204522
Sprache: Deutsch
Umfang: 304 S.
Format (T/L/B): 2.7 x 21 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Funkensprühende Geschichten des fantastischen und fantasievollen Erzählers Italo Calvino, zum ersten Mal auf Deutsch. Von den Piraten um Francis Drake, den Verschwörern gegen Cäsar bis zu einem Interview mit Montezuma und dem Neandertaler: ein intelligentes Lesevergnügen, mit dem der Leser Calvino quer durch sein Lebenswerk begleitet.

Autorenportrait

Italo Calvino wurde 1923 geboren, wuchs in San Remo auf und starb 1985 in Siena. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt u.a. Warum Klassiker lesen? (2003), Die unsichtbaren Städte (2007), und Ich bedaure, daß wir uns nicht kennen (Briefe 1941-1985, 2007).

Leseprobe

interviewer: Verehrte Zuhörer, ich spreche zu Ihnen aus dem malerischen Neanderthal in der Nähe von Düsseldorf. Ringsum liegt eine wilde Landschaft aus Kalkfelsen. Meine Stimme bricht sich an den Wänden natürlicher Höhlen sowie von Menschen gemachter Steinbrüche. Es war bei Arbeiten in diesen Steinbrüchen, daß man 1856 einen der ältesten Einwohner dieses Tales wiederfand, der sich hier vor ungefähr fünfunddreißigtausend Jahren niedergelassen hat: den Neanderthaler, wie er nach diesem Ort genannt worden ist. Ich bin extra hierher ins Neanderthal gekommen, um ein Interview mit ihm zu machen. Herr Neander - mit diesem vereinfachten Namen werde ich ihn während unseres Gesprächs anreden - Herr Neander ist, wie Sie vielleicht wissen, ein bißchen mißtrauisch, ja geradezu mürrisch, was wohl mit seinem fortgeschrittenen Alter zu tun hat, und er scheint sich aus seinem internationalen Ruhm nicht viel zu machen. Dennoch hat er sich freundlicherweise bereit erklärt, einige Fragen für unsere Sendung zu beantworten. Da kommt er schon mit seinem charakteristischen, leicht schaukelnden Gang und sieht mich prüfend unter seinen wulstig vorspringenden Brauen an. Ich nutze sofort die Gelegenheit, ihm eine erste indiskrete Frage zu stellen, die sicher viele Hörer interessieren wird: Herr Neander, hatten Sie erwartet, einmal so berühmt zu werden? Ich meine, nach allem, was man weiß, haben Sie in Ihrem Leben nichts Besonderes vollbracht, und doch sind Sie dann auf einmal so bedeutend geworden. Wie erklären Sie sich das?n eander: Sag's dir selber. Warst du da? Ich ja, ich war da. Du nicht. interviewer: Einverstanden, Sie waren da. Aber meinen Sie, das genügt? neander: Ich war schon da. interviewer: Ah, eine nützliche Präzisierung, scheint mir. Herrn Neanders Verdienst wäre demnach weniger die bloße Tatsache, dagewesen zu sein, sondern schon dagewesen zu sein, schon damals dagewesen zu sein, vor so vielen anderen. Priorität ist in der Tat eine Eigenschaft, die Herrn Neander niemand wird streitig machen wollen. Sooft man auch... wie weitere Forschungen ergeben haben - und wie Sie, Herr Neander, sicherlich selbst bestätigen können..., sooft man auch schon Spuren aus früheren Zeiten gefunden hat, sogar zahlreiche, in mehreren Erdteilen, von menschlichen Wesen, von bereits richtig menschlichen Menschen. neander: Mein Vater... interviewer: Noch viel weiter zurück, bis zu einer Million Jahre vorher... neander: Meine Großmutter... interviewer: Wie gesagt, Ihre Priorität, Herr Neander, wird Ihnen niemand abstreiten können, aber es handelt sich sozusagen um eine relative Priorität - sagen wir, Sie sind der erste, der... neander:Jedenfalls eher als du... interviewer: Einverstanden. Aber das ist nicht der Punkt. Ich wollte sagen, Sie sind der erste gewesen, der von denen, die später kamen, für den ersten gehalten wurde. neander: Das glaubst du. Zuerst ist da mein Vater... interviewer: Nicht nur er, sondern... neander: Die Großmutter... interviewer: Und davor? Passen Sie gut auf, Herr Neander: die Großmutter Ihrer Großmutter...! neander: Nein. interviewer: Wieso nein? neander: Der Bär! interviewer: Der Bär! Ein totemistischer Vorfahr! Wie Sie soeben gehört haben, betrachtet Herr Neander den Bären als seinen Stammvater, sicher ist er das Totemtier, das seinen Clan symbolisiert, seine Familie! neander: Deine! Erst ist der Bär da, dann geht der Bär hin und frißt die Großmutter... Dann bin ich da, dann gehe ich hin und schlage den Bär tot... Dann esse ich ihn auf, den Bär. interviewer: Gestatten Sie einen Augenblick, daß ich unseren Zuhörern die wertvollen Informationen erläutere, die Sie uns gerade geben, Herr Neander. Zuerst ist der Bär da, wie Sie sehr richtig gesagt haben, womit Sie ganz klar die Priorität der rohen Natur betont haben, der biologischen Welt, die als Bühne - nicht wahr, Herr Neander? -, als prachtvolle Bühne für den Auftritt des Menschen dient, und in dem Augenblick, wo der ... Leseprobe

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