Beschreibung
»Ich hoffe, dass sich diese Nazi-Scheiße niemals wiederholt.« Billy Joel Billy Joel zählt zu den erfolgreichsten Popmusikern der Welt und erlebte als Künstler wie als Mensch alle Höhen und Tiefen. Was aber nur wenige wissen: Der »Piano-Man« hat deutsch-jüdische Wurzeln. Steffen Radlmaier verknüpft die Biografie des Weltstars mit der packenden Geschichte seiner Familie, die im nationalsozialistischen Nürnberg und in New York, in Berlin und Auschwitz, Havanna und Wien spielt. Doch wohin das Leben die Joels auch führte, eines verband sie immer über alle Grenzen hinweg: die Liebe zur Musik. In den 1920er-Jahren haben sich der Nürnberger Jude Karl Amson Joel und seine Frau genügend Geld zusammengespart, um einen Wäscheversandhandel aufzubauen. Das Geschäft floriert, und es hätte eine Firmen-Erfolgsgeschichte wie aus dem Bilderbuch werden können, wäre in Deutschland nicht Adolf Hitler an die Macht gekommen. Vor den Nazis flieht das Ehepaar Joel mit ihrem Sohn Helmut erst nach Berlin, dann in die Schweiz. Ihre Firma erwirbt zum Schnäppchenpreis der spätere Versandhauskönig Josef Neckermann. Nach einer weiteren abenteuerlichen Flucht erreichen die Joels Kuba und endlich New York, wo sie sich mehr schlecht als recht durchschlagen. Helmut heiratet ein Mädchen aus Brooklyn, 1949 wird ihr Sohn William Martin geboren, genannt Billy. Als die Ehe scheitert, geht Helmut allein nach Deutschland zurück, heiratet noch einmal und bekommt seinen zweiten Sohn Alexander, heute ein international gefragter Dirigent. Mit über 100 Millionen verkauften LPs und Hits wie »River of Dreams« oder »Just the Way You Are« ist Billy Joel einer der erfolgreichsten Solokünstler der Popmusik. Am 9. Mai 2009 wird er 60 Jahre alt.
Autorenportrait
Steffen Radlmaier, Jahrgang 1954, ist Feuilletonchef der Nürnberger Nachrichten und hat etliche Bücher veröffentlicht, zuletzt "Mein Song. Texte zum Soundtrack des Lebens" (2005). In der "Anderen Bibliothek" erschien "Der Nürnberger Lernprozess. Von Kriegsverbrechern und Starreportern" (2001). Für das Radio-Feature "Wäschehändler, Weltbürger und ein Weltstar - Billy Joel und seine Familiengeschichte" erhielt er 1997 den 1. RIAS-Radiopreis.
Leseprobe
Ich habe lange Zeit kaum etwas von meiner Familiengeschichte gewusst, sie steckt für mich voller Geheimnisse. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch ein Kind war, und ich habe meinen Vater erst Anfang der 70er-Jahre als Erwachsener wiedergetroffen. In gewisser Weise verdanke ich meine Existenz den großen Katastrophen im Europa des 20. Jahrhunderts: Die Eltern meiner Mutter flohen vor dem Horror des Ersten Weltkriegs aus Großbritannien in die USA, und die Eltern meines Vaters mussten Deutschland wegen des Nazi-Regimes verlassen. Während ein großer Teil meiner Familie vernichtet wurde, überlebten meine Eltern - und ich wurde geboren. Das ist für mich bis heute ein unbegreiflicher Widerspruch. Nach Deutschland komme ich immer mit gemischten Gefühlen. Das betrifft natürlich in erster Linie die Vergangenheit. Als Kind hatte ich viele Klischeebilder von den bösen Deutschen im Kopf, wie ich sie aus Fernsehfilmen kannte. Umso erstaunter war ich deshalb bei meinen ersten Deutschland-Besuchen: Ich traf hier viele junge Leute, die genauso dachten und fühlten wie ich. Meine größten Tournee-Erfolge hatte ich in Deutschland. Hier ist unser bestes und leidenschaftlichstes Publikum zu Hause. Durch meinen Vater bin ich ja ein bisschen deutsch und zugleich jüdisch, wenn auch nicht religiös, erzogen worden. Ich bin in Amerika aufgewachsen, in Levittown, und da macht man keine großen Unterschiede zwischen Christen und Juden, Italienern, Iren und Deutschen. Ich übertrage auch nicht die Sünden der Väter auf die Söhne und Töchter. Wenn einer verzeihen muss, dann ist das mein Vater. Ich bin nicht verantwortlich für die Fehler der vorherigen Generation, aber ich möchte diese Fehler nicht wiederholen. Deswegen will ich meine Geschichte kennenlernen. Alles Deutsche fasziniert mich. Ich habe deutsches Blut. Und ich frage mich oft: Warum bin ich so anders als meine Freunde? Warum bin ich so voller widerstreitender Gefühle? Warum bewegen mich Musik und Kultur so stark? Was ist los mit mir? Ich glaube, das ist mein deutsches Erbe. Ich bin mit klassischer Musik aufgewachsen. Seltsamerweise sind fast alle meine Lieblingskomponisten Deutsche: Bach, Händel, Mendelssohn, Beethoven, Wagner, Schumann und auch Mozart kann man ja dazurechnen. Irgendetwas in der deutschen Seele lässt sich am besten mit Musik ausdrücken: Sturm und Drang. Ich weiß auch nicht genau, was das ist. Aber ich habe es, mein Vater hat es und mein Bruder Alex hat es auch. New York, Januar 2009 Einleitung "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist." Johann Strauß, Die Fledermaus Die folgende Geschichte spielt in Nürnberg und New York, in Berlin und Auschwitz, in Havanna und Wien. Sie handelt von einem amerikanischen Musiker - und sie handelt von deutscher Geschichte. Krieg und Frieden. Sturm und Drang. Rock 'n' Roll. Es geht um Erfolg und Misserfolg, um Geschäftsmänner und Geschäftemacher, um Glück und Unglück, um Politik, Terror und Musik. Im Schicksal der jüdischen Familie Joel spiegelt sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf ganz besondere Weise. Und im Gegensatz zu vielen ähnlichen Geschichten hat diese hier sogar ein Happy End. Auf das Thema stieß ich durch einen Zufall: Im Sommer 1994 hörte ich im Soldatensender AFN, dass der amerikanische Weltstar Billy Joel ein Open-Air-Konzert auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg geben würde. Allerdings nur für amerikanische Armeeangehörige, also unter Ausschluss der deutschen Öffentlichkeit. Eine seltsame Konzertsituation mit ähnlichem Symbolwert wie der legendäre erste Auftritt von Bob Dylan in Deutschland, ebenfalls auf dem ehemaligen Aufmarschgelände der Nazis (1978). Die Sache begann mich zu interessieren, denn Billy Joel war vorher noch nie in Nürnberg aufgetreten, und außerdem hielten sich hartnäckige Gerüchte, dass die Joel-Familie ursprünglich aus Franken stammte. Offiziell wusste das damals kaum jemand. In amerikanischen Zeitungsartikeln und Nachschlagewerken wurden zwar Leseprobe