Beschreibung
''Lisa See bringt uns nicht nur die Menschen nahe, sondern eine ganze Kultur.''
Arthur Golden, Autor von ''Die Geisha''
Pearl und May sind verwöhnte Töchter, die das Leben im glitzernden Shanghai der 30er-Jahre genießen, doch der Vater hat sein Vermögen verspielt und verheiratet die beiden nach Amerika. Damit beginnt die Odyssee der zwei Schwestern, deren Schicksal auch in der Neuen Welt aufs Engste miteinander verknüpft bleiben wird. Denn in Los Angeles werden sie von der Familie, in die sie verheiratet worden sind, misstrauisch beäugt. Und das Leben in China Town ist beschwerlich.
Lisa See hat mit ''Töchter aus Shanghai'' einen großen Roman über zwei Schwestern geschrieben, deren Lebensentwürfe nicht unterschiedlicher sein könnten, sind sie doch beste Freundinnen und harte Konkurrentinnen zugleich.
Leseprobe
Mit ihren roten Bäckchen sieht unsere Tochter aus wie eine südchinesische Bäuerin", mäkelt mein Vater und ignoriert demonstrativ die Suppe, die vor ihm steht. "Kannst du nichts dagegen tun?" Mama schaut Baba an, aber was soll sie schon sagen? Ich habe ein recht hübsches Gesicht - manche finden es sogar reizend -, doch es schimmert nicht wie die Perle, nach der ich benannt bin. Ich erröte leicht. Außerdem bin ich sehr sonnenempfindlich. Seit ich fünf bin, reibt mir meine Mutter Gesicht und Arme mit Perlencreme ein und mischt mir morgens zermahlene Perlen in den jook - den Reisbrei -, in der Hoffnung, das Weiß würde mir in die Haut eindringen. Alles vergebens. Jetzt glühen meine Wangen rot - genau das, was mein Vater nicht leiden kann. Ich sacke auf meinem Stuhl zusammen. In Babas Nähe werde ich immer klein, aber es wird noch schlimmer, wenn er den Blick von meiner Schwester abwendet und mich anschaut. Ich bin größer als mein Vater, das stört ihn sehr. Wir leben in Shanghai, wo das größte Auto, die größte Mauer oder das größte Gebäude eindeutig und unumstößlich verkündet, dass der Besitzer ein sehr bedeutender Mensch ist. Ich bin kein bedeutender Mensch. "Sie hält sich für besonders schlau", fährt Baba fort. Er trägt einen gut geschnittenen Anzug im westlichen Stil. Seine Haare haben nur wenige graue Strähnen. In letzter Zeit wirkte er häufig nervös. Aber heute Abend ist seine Stimmung noch düsterer als sonst. Vielleicht hat sein Lieblingspferd nicht gewonnen, oder die Würfel wollten nicht zu seinen Gunsten fallen. "Dabei ist sie alles, nur nicht klug." Das ist ein weiterer Kritikpunkt, den mein Vater gerne äußert. Er bezieht sich auf Konfuzius, bei dem es heißt: "Eine gebildete Frau ist eine wertlose Frau." Man bezeichnet mich als Bücherwurm, was sogar im Jahr 1937 nicht als Kompliment gilt. Doch so schlau ich auch sein mag, ich weiß nicht, wie ich mich vor den Worten meines Vaters schützen soll. Die meisten Familien essen an einem runden Tisch. So bilden sie einen Kreis, ein harmonisches Ganzes, ohne harte Kanten. Wir hingegen essen an einem eckigen Tisch aus Teakholz. Jeder von uns hat seinen festen Platz: neben May auf der einen Seite des Tisches mein Vater, gegenüber von ihr meine Mutter, damit Mays Anblick meine Eltern gleichermaßen erfreut. Tag um Tag, Jahr um Jahr ist jede Mahlzeit eine Erinnerung daran, dass ich nicht ihr Liebling bin und es auch nie sein werde. Während mein Vater weiter an mir herummäkelt, schalte ich ab und tue so, als interessierte ich mich für unser Esszimmer. An der Wand zur Küche hängen normalerweise vier Bildrollen mit den vier Jahreszeiten. Heute wurden sie abgenommen, sodass nur noch dunkle Umrisse zu sehen sind. Das ist nicht das Einzige, was fehlt. Früher hatten wir einen Deckenventilator, aber letztes Jahr kam Baba auf die Idee, es wäre angenehmer, wenn wir uns beim Essen von den Dienern Luft zufächeln ließen. Sie sind heute Abend nicht da, und wir vergehen vor Hitze. Sonst wird der Raum von einem Art-Deco-Lüster und passenden Wandlampen aus gelbem und rosafarbenem Ätzglas erhellt. Auch die sind weg. Doch ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber und gehe davon aus, dass die Bildrollen abgenommen wurden, damit sich die seidenen Ränder in dieser Feuchtigkeit nicht aufrollen, dass Baba den Dienern freigegeben hat, damit sie mit ihren Familien zu einer Hochzeit oder einer Geburtstagsfeier gehen können, und dass die Lampen vorübergehend entfernt wurden, weil sie geputzt werden müssen. Koch der weder Frau noch Kinder hat trägt unsere Suppenschalen ab und serviert nun Garnelen mit Wasserkastanien, in Sojasauce geschmortes Schweinefleisch mit getrocknetem Gemüse und Bambussprossen, gedämpften Aal, ein AchtKostbarkeitenGemüsegericht sowie Reis, aber die Hitze dämpft meinen Hunger. Lieber wären mir ein gekühlter UmePflaumensaft, kalte, süße Mungobohnensuppe mit Minze oder eine süße Mandelbrühe. Als Mama sagt: "Der Korbmacher hat heute zu viel Geld verlangt", entspanne ich mich. Ebenso ab Leseprobe