Beschreibung
Können nationale Gewerkschaften im Zuge der europäischen Integration gemeinsame politische Positionen entwickeln? Martin Seeliger untersucht diese Frage anhand der wichtigsten Felder europäischer Tarifpolitik. Die Antwort fällt ambivalent aus: Starke Diskrepanzen zwischen den nationalen Gewerkschaften, aber auch in der Vertikalen des Mehrebenensystems europäischer Arbeitsbeziehungen, machen "die soziale Konstruktion organisierter Interessen" in der Europäischen Union zu einer großen Herausforderung, die die Entstehung eines sozialen Europas in weite Ferne rückt.
Autorenportrait
Martin Seeliger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Jena.
Leseprobe
Vorwort Warum schreibt man eigentlich eine Dissertation über europäische Tarifpolitik? Als ich im Jahr 2009 meine Bachelorarbeit zum Thema "Deutscher Gangstarap zwischen Affirmation und Empowerment" angemeldet hatte, wusste ich zwar schon, dass ich mein Geld später einmal mit dem Betreiben sozialwissenschaft- licher Forschung verdienen wollte. Dass dies schon dreieinhalb Jahre später in einer Forschungsgruppe mit dem Namen "Politische Ökonomie der europäi- schen Integration" geschehen sollte, war damals nicht abzusehen und stellte ver- mutlich auch nicht das wahrscheinlichste Szenario meiner erwerbsbiografischen Entwicklung dar. Es konnte trotzdem so kommen, weil eine ganze Reihe von Leuten mich unterstützt hat. Bei ihnen möchte ich mich nun in einer zumin- dest grob chronologischen Reihenfolge bedanken, die meine Reiseroute von Bo- chum nach Flensburg über Köln, Brüssel, Stockholm, San Francisco, Jena und eine ganze Reihe anderer Kurzaufenthalte beschreibt. Zuerst ist da mein Bochumer Chef, Ludger Pries. Das meiste von dem, was ich über Soziologie und vor allem Arbeitsbeziehungen (oder, wie er sagt, "Er- werbsregulierung") und Globalisierung weiß, habe ich von ihm gelernt. Meinen ersten Aufenthalt am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, damals noch als Praktikant, ermöglichte Sigrid Quack. Sie hat mir eine Begeis- terung für die mir vorher verhasste Organisationssoziologie vermittelt, die ich mir erhalten werde. Wolfgang Streeck hat sich nicht nur den Titel dieses Buches ausgedacht. Was ich von ihm, der dieses Projekt bis kurz vor seinem Abschluss begleitet hat, über Kapitalismus, Demokratie und andere Dinge gelernt habe, wird mir auch in Zukunft von großer Bedeutung sein. Als die Zweitbetreuung kurz vor Abgabe neu organisiert werden musste, sprang Klaus Dörre mit großer Hilfsbereitschaft ein. Armin Schäfer und allen voran Benjamin Werner leisteten am Institut wichtige Eingliederungshilfe, die im Lauf der Zeit von Susanne Hilbring übernommen wurde. Sebastian Bitterwolf, Neil Fligstein, Jiska Gojowczyk, Sebastian Kohl, Daniel Mertens, Moritz Müller, Oliver Nachtwey, Kimey Pflücke, Inga Rademacher, Alfred Reckendrees, Jan Schank, David Schick, Daniel Seikel, Christian Tribowski, Ines Wagner, An- nika Wederhake, Benjamin Werner und Nick Ziegler haben Teile der Arbeit oder sogar das ganze Manuskript gelesen und kommentiert. Ihnen allen bin ich zu Dank verpflichtet. Mein Dank gilt ebenso den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern aus Technik und Verwaltung, vor allem Petra Zimmermann und Renate Blödorn, die nicht müde wurden, mir die Feinheiten und Details der Reisekos- tenabrechnung jedes Mal aufs Neue zu erklären, ohne dabei die Beherrschung zu verlieren (ich hätte ihnen das nicht vorwerfen können). Die wichtigste Rolle für diese Arbeit hat Martin Höpner gespielt, der mich nicht nur ermutigte, eine politökonomische Perspektive auf die Gewerkschaften im Prozess der europäischen Integration zu entwickeln, sondern auch akzep- tiert hat, dass dies schließlich weniger gut funktionierte, als er zunächst vermu- tet hatte. Dass er, mit dem ihm eigenen Understatement, beständig behauptet, keine Ahnung von Soziologie zu haben, verwundert insofern, als seine sensible und sorgfältige Art, politische Zusammenhänge als wissenschaftliche Probleme zu definieren, den analytischen Rahmen dieser Arbeit erst ermöglicht hat. Ich vermute, er ist mehr Soziologe, als er das zugeben will. Dass er jetzt nicht mehr mein Vorgesetzter ist, ist insofern eine gute Sache, als dass wir von nun an ein- fach Freunde sein können. Glauben wir den Ethnografen Ronald Hitzler und Paul Eisewicht1, kommt man "aus keinem Feld so heraus, wie man hineingegangen ist". Ganz in diesem Sinne hat eine Reihe von Auslandsaufenthalten mir nicht nur die Ruhe und Inspiration verschafft, die mir das Schreiben der Arbeit enorm erleichterten, sondern auch meinen persönlichen Erfahrungshorizont in unschätzbarer Weise erweitert. Aline Hofmann und Torsten Müller haben mir am European Trade Union Institute wichtige Einblicke in die alltägliche Zusammenarbeit europä- ischer Gewerkschaftsvertreter verschafft. Mein Aufenthalt am Stockholm Cen- tre for Organizational Research diente einerseits zum besseren Verständnis der schwedischen Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften - die ich aus Gründen der gebotenen Distanz im Folgenden nicht mehr als "Kolleginnen und Kollegen" werde bezeichnen können. Zum anderen erklärte mir Nils Brunsson dort wiederholt, warum die Entkopplung von Reden und Handeln nicht unbe- dingt als zynisch, sondern unter Umständen widersprüchlicher Erwartungen als vollkommen normal anzusehen ist. Entsprechende Einsichten wurden wenige Monate später von Nick Ziegler, Chris Ansell, Michael Burawoy und Neil Flig- stein, deren Bekanntschaft ich als Gastdoktorand an der University of California, Berkeley, machen durfte, infrage gestellt. Produktiv irritiert habe ich wesentliche Teile dieser Arbeit im Bay Area Rapid Transit zwischen Mission/24th und Downtown Berkeley geschrieben (häufig mit einem doppelten Espresso vom Silver Stone Café zwischen die Beine geklemmt, der - entgegen meiner anhal- tenden Befürchtung - niemals ausgelaufen ist). Mein besonderer Dank gilt weiterhin den Kollegen aus dem Umfeld der Ge- werkschaften. Manfred Wannöffel, Reiner Hoffmann, Clemens Rode und Klaus Priegnitz haben mir mit ihren Empfehlungen Kontakte zu Interviewpartnern vermittelt, die mir Einblick in ihre Arbeit gegeben haben. Von diesen Interview- partnern habe ich mehr gelernt, als ich bis jetzt verstanden habe, und viele der von mir transkribierten Passagen klingen mir noch heute in den Ohren. Beson- ders hervorzuheben war hierbei die Unterstützung durch Richard Pont, Anne Karras und Claes Mikael Jonsson. Wer über Tarifkoordinierung und den europäischen Mindestlohn schrei- ben möchte, kommt glücklicherweise nicht an Thorsten Schulten vorbei. Mit zahlreichen inhaltlichen und logistischen Hinweisen hat er meiner Arbeit un- verzichtbare Unterstützung gegeben. Stellvertretend für eine Reihe von Kolle- ginnen und Kollegen aus dem Umfeld des Wirtschafts- und Sozialwissenschaft- lichen Instituts und der Hans-Böckler-Stiftung sei ihm hiermit gedankt. Dass ich so viel an der Dissertation arbeiten konnte, ist auf eine Reihe von Rahmenbedingungen zurückzuführen. Die Unterstützung meiner Eltern ist hierbei an erster Stelle zu nennen. Werner Pohlmann half mir dabei, eine gan- ze Reihe persönlicher und intellektueller Probleme zu lösen. Schließlich haben Tristan und Frank sichergestellt, dass neben der Arbeit genug Musik und ent- sprechendes Rahmenprogramm in Hamburg, Bochum, Göttingen, Leipzig und anderswo stattgefunden haben. Die richtige Mischung aus Arbeit und Freizeit zu finden, war unter diesen Bedingungen überraschend einfach. Gern denke ich auch an zahlreiche abendliche Besprechungen in den Hängenden Gärten von Ehrenfeld mit Christian Tribowski, Kimey Pflücke und anderen. Die Frage, warum man eine Dissertation über europäische Tarifpolitik schreibt, habe ich damit noch nicht ganz beantwortet. Gern würde ich behaup- ten, dass dahinter ein umfassender Masterplan steckt, der die Untersuchung ge- werkschaftlicher Zusammenarbeit im internationalen Rahmen als Schritt in der Umsetzung einer größeren Forschungsagenda vorsieht, oder so etwas. Ehrlich gesagt würde das aber nicht stimmen. Dass ich die Arbeit geschrieben habe, wie ich sie geschrieben habe, hängt vielmehr mit einer langen Verkettung von Bauchentscheidungen zusammen, die ich getroffen habe, weil die Menschen in meinem Umfeld mir vermittelt haben, dass sie richtig sein könnten. Widmen möchte ich diese Arbeit deshalb meinem ersten Bochumer Lehrer Frank Thie- me, ohne den ich mir das ernsthafte Studium der Soziologie möglicherweise gar nicht erst zugetraut hätte. Köln, im September 2017 Martin Seeliger Kapitel 1 Einleitung Können nationale Gewerkschaften gemeinsame politische Positionen auf euro- päischer Ebene entwickeln? Diese...