Beschreibung
Die Wiederentdeckung einer großen, zeitlosen Erzählerin Als Sinclair Lewis 1930 den Literaturnobelpreis erhielt, bemerkte er, dass die Auszeichnung eigentlich Willa Cather gebühre. Die heute fast vergessene moderne Klassikerin schrieb mit "Meine Antonia" einen der eindrucksvollsten amerikanischen Romane des 20. Jahrhunderts. Es ist die Geschichte einer jener starken, mutigen Frauen, die Amerikas Herzland urbar gemacht haben. Die unendlichen Weiten des Graslands, die Prärie im Herzen Nordamerikas - hierher zieht es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die böhmische Familie Shimerda. Wie Millionen Menschen aus der Alten Welt erhofft sie sich ein besseres Leben. Als der Nachbarjunge Jim die kleine Antonia zum ersten Mal sieht, lebt deren Familie noch in einem armseligen Erdloch. Doch das Mädchen lässt sich weder von harter Arbeit, vom tragischen Tod ihres Vaters noch von den viktorianischen Rollenvorstellungen daran hindern, die ungezähmte Natur zu erkunden, sich von der Grenzenlosigkeit des Landes mitreißen zu lassen, sich ihrem Lebenshunger hinzugeben. Antonia ist klug, zielstrebig und schön. Wild entschlossen nimmt sie ihr Schicksal in die Hand. Eine unsentimentale, meisterhaft erzählte Hommage an eine grandiose Natur und an jene Menschen, die in der Neuen Welt für ein freies Leben aus eigener Kraft kämpften. In der Neuübersetzung von Stefanie Kremer, mit einem Nachwort von Elke Schmitter.
Leseprobe
EINFÜHRUNG Als ich letzten Sommer während einer heftigen Hitzewelle mit dem Zug durch die Ebenen Iowas fuhr, hatte ich das Glück, gemeinsam mit James Quayle Burden zu reisen - Jim Burden, wie wir ihn im Westen noch immer nennen. Er und ich sind alte Freunde - wir sind in derselben Kleinstadt in Nebraska zusammen aufgewachsen -, und wir hatten uns viel zu erzählen. Während der Zug die endlosen Meilen reifen Weizens durchschnitt, vorbei an ländlichen Städtchen, leuchtend bunt blühenden Wiesen und kleinen Eichenwäldern, deren Laub in der Sonne welkte, saßen wir im Panoramawagen; das Holz fühlte sich heiß an, und alles war dick mit rotem Staub überzogen. Der Staub und die Hitze, der sengende Wind, all das ließ viele Erinnerungen in uns wach werden. Wir sprachen darüber, wie es ist, seine Kindheit in solchen kleinen Städten zu verbringen, begraben unter Weizen und Mais, in stetem Kampf gegen die Kapriolen des Wetters: in den glühend heißen Sommern, wenn das Land grün und wogend unter einem strahlend blauen Himmel liegt, wenn die üppige Pflanzenwelt einen schier erstickt mit den Farben und Gerüchen des wuchernden Unkrauts und der reichen Ernten; in den stürmischen, schneearmen Wintern, wenn das ganze Land grau und kahl gefegt ist wie Eisenblech. Wir waren uns einig, dass niemand, der nicht in einer kleinen Präriestadt aufgewachsen ist, auch nur das Geringste darüber wissen kann. Es sei wie eine eingeschworene Gemeinschaft, sagten wir. Obwohl Jim Burden und ich alte Freunde sind und beide in New York wohnen, sehe ich ihn dort nicht oft. Er arbeitet als Rechtsbeistand für eines der großen Eisenbahnunternehmen im Westen, und manchmal ist er wochenlang nicht in seinem New Yorker Büro. Das ist einer der Gründe, weshalb wir uns so selten treffen. Ein anderer ist, dass ich seine Frau nicht mag. Als Jim noch ein unbekannter junger Rechtsanwalt war, der darum kämpfte, sich in New York durchzusetzen, wurde seine Karriere plötzlich durch eine glänzende Verbindung vorangebracht. Genevieve Whitney war die einzige Tochter einer hochrangigen Persönlichkeit. Ihre Vermählung mit dem jungen Burden gab damals Anlass zu allerlei Klatsch und Tratsch. Man erzählte sich, ihr Vetter, Rutland Whitney, habe sie auf schändliche Weise sitzen lassen, und diesen Unbekannten aus dem Westen heirate sie aus einer bloßen Laune heraus. Schon damals war sie ein ruheloses, dickköpfiges Mädchen gewesen, das seine Freunde gern verblüffte. Auch später, nachdem ich sie kennengelernt hatte, war sie immer wieder für Überraschungen gut. Sie stellte eines ihrer Stadthäuser den Suffragetten als Hauptquartier zur Verfügung, inszenierte eines ihrer Stücke am Princess Theater, wurde festgenommen, als sie während eines Streiks der Textilarbeiter demonstrierte, und so fort. Ich habe noch nie so recht daran geglaubt, dass sie für die Dinge, denen sie ihren Namen und ihr flüchtiges Interesse leiht, echte Anteilnahme aufbringt. Sie ist attraktiv, energiegeladen und tatkräftig, doch für mich hat es den Anschein, als wäre sie durch nichts zu beeindrucken und schon von ihrer Veranlagung her unfähig zu jeder Begeisterung. Ich vermute, dass sie über die harmlosen Schwärmereien ihres Gatten ziemlich aufgebracht ist, stattdessen hält sie es für lohnend, als Gönnerin einer Gruppe junger Dichter und Maler aufzutreten, die sich durch fortschrittliche Ideen und recht mittelmäßiges Talent auszeichnen. Sie hat ihr eigenes Vermögen und lebt ihr eigenes Leben. Aus irgendeinem Grund möchte sie Mrs. James Burden bleiben. Was Jim anbelangt, so hatten die Enttäuschungen des Lebens seine von Natur aus romantische, leidenschaftliche Art nicht dämpfen können. Diese Leidenschaftlichkeit, die ihn als Jungen oftmals sehr komisch wirken ließ, war eine der wichtigsten Grundlagen seines Erfolgs. Er hängt mit ganzem Herzen an diesem großartigen Land, durch das kreuz und quer die Räder seiner Eisenbahn rattern. Sein Glaube an und sein Wissen über das Land haben eine bedeutende Rolle bei dessen Erschließung Leseprobe