Beschreibung
Der schlimmste Alptraum jeder Mutter: Nur einen fatalen Moment lässt Tinka Hansson ihre schlafende Tochter aus den Augen, während sie vor der Markthalle am Göteborger Kungstorget einkauft. Als sie sich wieder umdreht, ist Lucie wie vom Erdboden verschluckt. Der erste Moment des Schreckens wird schnell zur grauenvollen Ewigkeit. Vier Jahre nagt das ungelöste Verbrechen an Kommissar Greger Forsberg. Erst als ihm die bizarre Selma Valkonen als Kollegin aufgezwungen wird, kommt Bewegung in den alten Fall. Zur selben Zeit erhält Lucies Vater eine anonyme, perfide Nachricht: Seine Tochter lebt, doch für weitere Informationen über ihren Aufenthaltsort soll er zum Mörder werden - und: keine Polizei!
Autorenportrait
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute bei Hannover. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der »Sisters in Crime« und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch »Wer nicht hören will, muß fühlen« erhielt sie die »Agathe«, den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
Leseprobe
Licht strahlt durch die Baumkronen wie die Finger Gottes. Allmählich verliert sich der Pfad im Dickicht. Strauchwerk greift nach seinen Füßen und die Last, die er trägt, zerrt an seinen Armen. War ihm der Wald zunächst still vorgekommen, so hört er jetzt unzählige Geräusche, es raschelt und knistert, es murmelt und summt. Ein klagender Schrei lässt ihn zusammenzucken. Seine Nerven liegen blank. Unter einem Baum, dessen Rinde silbrig schimmert, legt er das Bündel ab, bettet es zwischen hohen Farnen. Sogar hier, im tiefsten Schatten, sind noch Farben zu erkennen, doch er hat keinen Blick für die düstere Schönheit des Ortes. Zitternd und horchend wie ein gejagtes Tier richtet er sich auf. Möchte am liebsten weglaufen. Er umklammert den Spaten, sticht das Metall in den Boden, durchtrennt Blätter und Wurzeln, die den Grund durchziehen wie Blutgefäße, gräbt tiefer und tiefer. Dann schleift er das Bündel heran. Schwarz gähnt die Grube, Erdgeruch steigt auf. Er weiß, er sollte die Plastiksäcke entfernen, doch schon der Gedanke daran macht ihn panisch, und er stößt das Paket mit dem Fuß hinab ins Loch. Dumpf schlägt der Körper auf. Ihn fröstelt. Zuschaufeln, schnell! Seine Stiefel stampfen die Erde fest, ein Zweig verwischt die letzten Spuren, und dann ist es plötzlich totenstill. Als hielte der Wald den Atem an. Er hört sein Blut durch die Adern rauschen, sieht sich um. Die Bäume sind näher herangerückt, umzingeln ihn wie Monster. Hastig stolpernd folgt er seinem eigenen Weg durch niedergetretene Preiselbeerbüsche. Das Gestrüpp, so hofft er, wird sich in ein paar Tagen erholt haben. Alles wird sein wie vorher. Erster Teil Der 17. A ugust 2007 begann harmlos. Sie frühstückten zusammen. Lucie thronte auf ihrem Hochstuhl und kaute auf einem Stück Brot mit Frischkäse herum. Sie war ein zartes, hübsches Kind. Ihr herzförmiges Gesicht mit dem niedlichen Schmollmund wurde von großen blauen Augen beherrscht, weshalb Leander irgendwann bemerkt hatte, dass seine Tochter einem dieser Äffchen glich, die es nur auf Madagaskar gab. Seitdem nannten sie Lucie manchmal ihren kleinen Mausmaki. Leander trank den letzten Rest des Milchkaffees aus. Seit Tinka die Zeitung abbestellt hatte, wirkte er morgens immer etwas verloren, als wüsste er nicht, wohin mit seinen Blicken. Jetzt stand er auf und sagte: 'Was plant ihr beiden Frauen denn heute Schönes?' Tinka machte es nur noch schlimmer und sagte mit derselben künstlichen Munterkeit, sie habe vor, mit Lucie in die Stadt zu fahren und sich das Kinderprogramm im Botanischen Garten anzusehen. 'Für die meisten Sachen wird sie noch zu klein sein, aber vielleicht finden wir was, nicht wahr, mein Mäuschen?' Diese falschen Töne gab es zwischen ihnen erst seit dieser Sache. Als wären sie ihre eigenen Karikaturen und müssten einem unsichtbaren Publikum ein glückliches Familienleben vorspielen. Leander stand auf, zog das Sakko über und klemmte sich die Aktentasche unter den Arm. Lucie fing an, aus Leibeskräften zu brüllen und fegte ihren Plastikteller vom Tisch. Neuerdings machte sie jeden Morgen Theater, wenn Leander das Haus verließ. Der verharrte unschlüssig zwischen dem plärrenden Kind, das ihm die Arme entgegenstreckte wie ein Ertrinkender, und der Küchentür. 'Geh nur, ich mach das schon', erlöste ihn Tinka. Erleichtert zerzauste Leander seiner Tochter die hellblonden Locken, dann drückte er Tinka einen Kuss auf die Wange. Die Haustür fiel zu. Tinka klaubte Brotstückchen vom Boden auf. Noch immer schrie Lucie wie am Spieß. Sie war ein Papakind. Tinka hatte mal irgendwo gelesen, dass das in dem Alter normal sei. Lucies Wutgeheul war bis auf die Straße zu hören. Leander blieb stehen, wartete. Herrgott, warum unternimmt Tinka nichts? Sie kann das Kind doch nicht einfach schreien lassen! Er war kurz davor, umzukehren, als das Gebrüll abrupt abbrach. Leander hielt den Atem an. Was war passiert? Sie wird doch nicht. Aber da hörte er durch das g