Beschreibung
Paris, 1986: Ein aufstrebender Maler verliebt sich Hals über Kopf in eine bildhübsche Studentin. Doch Familie und Freunde haben reichlich Argumente gegen eine Hochzeit mit Amina: Sie ist zu jung und auch zu schön, sie ist eine Berberin, hat nicht dieselbe Klasse. Der aus Fès stammende Maler wischt die Einwände beiseite: Er will seine wilden Jahre beenden und eine Familie gründen. Und die 24-jährige Amina sagt Ja zu diesem ersten Mann in ihrem Leben. Casablanca, 2000: Nach einem heftigen Ehestreit erleidet der inzwischen berühmt gewordene Maler einen schweren Schlaganfall, der ihn ans Krankenbett fesselt, lähmt und sprachlos macht. Die Schuld an seinem Zustand gibt er seiner Ehefrau: Ihrer Eifersucht, ihren Verdächtigungen und Verwünschungen. Heimlich verfasst er seine Version ihres so wenig haltbaren Eheglücks. Als Amina die Zeilen liest, hält sie dagegen und wir schauen mit anderen Augen auf die gleiche Geschichte. Auf Liebe und Ehe lässt man sich ein, damit etwas Gemeinsames entsteht. Doch was sie dem anderen bedeuten, werden wir nie erfahren. 'Ein ausgezeichneter, galliger Roman - und ein Heilmittel gegen die Ehe und die Liebe.' Le Point
Autorenportrait
Tahar Ben Jelloun, geboren 1944 in Fès (Marokko), lebt in Paris. Er gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb. 1987 wurde er mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, 2004 mit dem renommierten International IMPAC Dublin Literary Award. Im Jahr 2011 wurde ihm der Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis verliehen.
Leseprobe
Erster Teil Der Mann, der die Frauen zu sehr liebte Prolog Sie hat sich auf seiner Nasenspitze niedergelassen. Eine ganz gewöhnliche Fliege, weder dick noch klein. Grau, schwarz, leicht, fehl am Platz. Sie fühlt sich wohl dort, auf der Nase, auf der sie gelandet ist wie eine fliegende Maschine auf einem Flugzeugträger. Sie putzt ihre Vorderpfoten. Schrubbt und wachst sich für eine dringende Mission, könnte man meinen. Sie lässt sich nicht stören. Verbreitet Hektik und verharrt doch auf ihrem Platz. Sie wiegt so gut wie nichts, belastet aber dennoch. Sie macht den Mann nervös, er wird sie nicht los. Er hat versucht, sich zu bewegen, hat gepustet und geschrien. Die Fliege lässt das kalt. Sie bleibt wo sie ist. Sie hat ihren Platz gefunden und lässt sich nicht verscheuchen. Der Mann will ihr nichts Böses, er möchte nur, dass sie wegfliegt, ihn in Ruhe lässt, wo er doch seine Finger, Hände, Arme nicht mehr bewegen kann. Sein Körper funktioniert nicht mehr. Er ist kurzfristig verhindert. Eine Art Panne im Gehirn. Ein Hirnschlag vor einigen Monaten. Er hat es nicht kommen sehen, es hat ihn wie der Blitz getroffen. Sein Kopf kann keine Befehle mehr an seine Gliedmaßen geben. Im Moment zum Beispiel möchte er, dass sich sein Arm hebt und den Eindringling vertreibt. Aber es bewegt sich nichts. Die Fliege ihrerseits schert sich nicht darum. Er mag krank sein oder kerngesund, das ändert nichts, seelenruhig putzt sie sich auf dieser grandiosen Nasenspitze weiter. Der Mann versucht noch einmal sich zu bewegen. Die Fliege lässt nicht locker. Er spürt wie ihre winzigen fast durchsichtigen Pfoten sich in seiner Haut festkrallen. Sie fühlt sich wohl. Keine Lust, woanders hinzufliegen. Wie ist sie dahin gekommen? Welches Unheil hat sie bloß hergeschickt? Fliegen sind frei, sie gehorchen niemandem, sie tun was sie wollen, sie fliegen weg, wenn man versucht, sie zu jagen oder zu erschlagen. Anscheinend haben sie einen Blickradius von 360°. Sie sollen beeindruckend wachsam sein. Im Moment versucht der Mann zu verstehen, auf welchem Wege sie ihn erreicht hat. Ach der Garten! Die Hunde fressen ihren Napf nie leer. Alle Fliegen aus dem Viertel kennen sein ganzes Haus und das Eckchen am Gartentor. Von überallher schwirren sie hin, in der Gewissheit, dort unweigerlich Nahrung zu finden. Und nachdem sie gut gegessen haben, spazieren sie herum, fliegen hierhin und dorthin um zu verdauen. Sie summen, lassen sich ins Leere fallen, schwirren in alle Himmelsrichtungen. Und plötzlich erscheint eine menschliche Nase. Lädt auf einen Besuch ein. Seit sich die erste Fliege niedergelassen hat, hat keine andere gewagt, ihr den Platz streitig zu machen. Der Mann aber leidet. Er möchte sich kratzen, die Fliege vertreiben, aufstehen, in den Garten laufen und selber die schmutzige Stelle säubern, wohin der Hauswart normalerweise einen Teil des Mülls kippt. Er macht sich sogar daran, die Welt zu retten: Wenn der Gärtner zur Schule gegangen wäre, wenn seine Eltern vom Lande ihr Dorf nicht verlassen hätten, um in die Stadt zu ziehen, Bettler zu werden, Autowäscher, Parkplatzwächter, wenn Marokko nicht zwei Jahre furchtbare Dürre hinter sich hätte, wenn das Geld im Lande besser zwischen den Städten und den ländlichen Gebieten verteilt wäre, wenn diese als Speicher und Schatzkammer des Landes angesehen würden, wenn die Agrarreform auf gerechte Weise durchgeführt worden wäre, wenn der Hauswart an diesem Morgen auf den Gedanken gekommen wäre, eben jenen Teil des Gartens von Müll zu befreien, wenn er sich die Mühe gemacht hätte, die Fliegen von diesem Treffpunkt zu vertreiben, wenn zudem die beiden Männer, die sich um ihn kümmern, an seiner Seite gewesen wären, hätte jene Fliege, jene vermaledeite Fliege nicht auf seiner Nase landen können und ein solch starkes Jucken verursachen, das ihn fast in den Wahnsinn treibt, ihn den seit nunmehr sechs Monaten ein Schlaganfall an sein Bett fesselt. Er sagt sich, dass er in der Gewalt eines Insekts, eines winzig kleinen Insekts