Beschreibung
Authentizität ist ein schillernder Begriff, der in unterschiedlichen Kontexten sehr Unterschiedliches bedeuten kann, der in Fachdiskursen ebenso zu Hause ist wie in den Diskursen der Populärkultur oder in der Alltagssprache. Für manche ist Authentizität das »Schlagwort der Stunde«, während andere den Begriff kaum verwenden, ohne ihn zugleich zu problematisieren. Das gilt auch und gerade in den Bildmedien, in denen Authentizität als Konzept immer wieder hinterfragt, umspielt, ebenso oft eingefordert wie verworfen wird. In seinem Buch zum authentischen Bild geht Wortmann von einem nicht-normativen, einen an Raum und Zeit gebundenen, konstruktivistischen Authentizitätsbegriff aus, den er in den Bilddiskursen verschiedener Epochen von der Antike bis zur Gegenwart aufspürt und im Hinblick auf seine Funktionsweisen untersucht.
»Selbst die größten Authentizitätsverächter werden konstatieren müssen, dass Authentizität ein Begriff mit Konjunkturen ist, ein Begriff wie ein Symptom, das in regelmäßigen Abständen aus den Ablagefächern der Geschichte aufsteigt und durch Fachdiskurse und Feuilletons geistert mal als emphatische Beschwörungsformel, mal als großes Lamento über seinen Verlust, schließlich als Beschwerdeführung darüber, dass alle Welt von Authentizität spreche, man das ganze Echtheits- und Authentizitätsgerede aber als Zumutung empfinde.«
Zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung wurde das Buch in Teilen überarbeitet und um ein neu verfasstes Schlusskapitel zur Authentizität nach der Fotografie ergänzt, das die Authentizitätsdiskurse um das digitale Bild und um die Bilder der KI-Bildgeneratoren auf ihre Dynamiken und ihr Authentizitätspotenzial hin untersucht.
Autorenportrait
Volker Wortmann, geb. 1965, ist Senior Lecturer am Institut für Medien, Theater und populäre Kultur der Universität Hildesheim. Er war Stipendiat der DFG im Graduiertenkolleg Authentizität als Darstellungsform und promovierte im Jahr 2000 mit der vorliegenden Arbeit zum Authentischen Bild. In den letzten zwanzig Jahren sind zahlreiche Texte erschienen zum Making of, zur Mediendiskursgeschichte und zur Ästhetik des Dokumentarfilms.
Inhalt
Vorwort zur zweiten, überarbeiteten Auflage
Vorwort
Einleitung: Ordnungen im semantischen Feld
1. Legenden authentischer Darstellung
1.1 Das authentische Bildeine erste Annäherung: Protogenes und sein wunderbar gemalter Hund
1.2 Nicht von Menschenhand: Acheiropoieten-Legenden
1.2.1 Christliche Apologetik und heidnisch-antike Bildpraxis
1.2.2 Ein erstes Modell authentischer Darstellung: Die Abgarlegende der Spätantike
1.2.3 Byzantinische Importikonen und importiertes Bildverständnis: Die vera-icona des lateinischen Mittelalters als Bild und Reliquie
1.3 Der Maler als transparentes Medium
1.3.1 Lukas und Nikodemus: Legenden heiliger Maler
1.3.2 Die Askese des Malers als Zeichen medialer Transparenz
1.3.3 Das Motiv heiliger Maler in den Künstlerviten
1.4 Der Renaissancemaler und die Transformation tradierter Authentizitätskonzepte
1.4.1 Der Renaissancekünstler als alter deus
1.4.2 Der Maler als Fundstückzum Topos der Berufungslegende
1.4.3 Das Bild als Fundstückzur Immanentisierung der Transzendenz und Transzendierung der Natur
1.5 Zusammenfassung: Drei Authentisierungsmodelle bildender Kunst
2. Stillosigkeit als stilisiertes Authentizitätssignum
2.1 Das authentische Bildeine zweite Annäherung: Stil und Stillosigkeit
2.2 Stillosigkeit als literarische Authentisierungsstrategie der christlichen Spätantike
2.2.1 Bildung als innere Gefährdung
2.2.2 Rhetorische Kultur und asketische Opposition
2.2.3 Die Martinsschriften des Sulpicius Severus
2.2.4 Nachtrag
2.3 Mediale Konstellationen der Aufrichtigkeit
2.3.1 Zwei Reiseberichte der Neuzeit
2.3.2 Aufrichtigkeits- und Authentizitätssehnsucht im achtzehnten Jahrhundert
2.4 Zusammenfassung: Das kommunikative Versprechen stilloser Darstellung
3. Die beharrliche Leidenschaftslosigkeit der Mechanik
3.1 Das authentische Bildeine dritte Annäherung: Die Camera obscura und das Authentizitätsversprechen technisch-asketischer Bildentstehung
3.1.1 Skeptische Anthropologie und emphatische Technik-Utopie: Der mediale Blick ins Paradies
3.1.2 Von der Camera obscura zur Photographie: Die Wieder-Entdeckung des authentischen Bildes in der Moderne
3.2 Die Adaption tradierter Authentisierungsmuster in technischen Termini
3.2.1 Photographie als kunstloses Medium
3.2.2 Photographie und acheiropoietisches Abbildversprechen
3.2.3 Der unwillkürliche Ausdruck als authentisierender Aspekt photographischer Darstellung
3.3 Zusammenfassung: Das photographische Abbild und seine medienontologische Authentizitätsapologetik
4. Die Legendisierung des kinematographischen Bildes
4.1 Kinematographie und die sukzessive Ausformulierung authentisierender Strategien
4.1.1 Dokumentarfilm und dokumentarische Authentizitäteine historische Differenzierung
4.1.2 Das authentische Bild im Kontext propagandistischer Argumentation
4.1.3 The Battle of the Sommeder Schrecken des Krieges als ästhetische Differenzerfahrung
4.1.4 Non-preconception: Die Dokumentarfilmlegende Robert Flahertys
4.2 Dokumentarische Authentizität als Subversion: Formen programmatischer Differenzierung
4.2.1 Programmatische Anti-Ästhetik und authentisches Bild: Dziga Vertov, John Grierson und Richard Leacock
4.2.2 Technikemphase und Darstellungsaskese: Authentisierende Stilverweigerung im direct cinema
4.2.3 Krisenstruktur und Enthüllungslogik: Authentisierende Sujetinteressen im direct cinema
4.3 Die inszenierte Transparenz der Dokumentarfilmautoren
4.3.1 Authentizitätsskepsis und die Ausformulierung reflexiver Darstellungsformen
4.3.2 Selbstreflexivität als authentisierendes Transparenzsignal: Wim Wenders Nick's Film: Lightning over Water
4.4 Zusammenfassung: Strategien dokumentarischer Authentizität im Film
Authentizität nach der Fotografie
Literaturverzeichnis
Informationen zu E-Books
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