Beschreibung
Niemand wird gerne alt. Jetzt altern ganze Völker in nie gekanntem Ausmaß. Das individuelle Schicksal wird zum politischen und ökonomischen Schicksal fast aller Staaten der Erde. Selbst nach vorsichtigen Schätzungen wird dieser Prozess auf unabsehbare Zeit anhalten. Für die nächsten fünfzig Jahre ist er bereits unumkehrbar. Die heute jungen Männer und Frauen, die später die vielen Alten werden, haben deshalb jetzt eine historische Chance: Sie müssen schon aus Überlebensinstinkt gegen die Diskriminierung des Alters vorgehen. Tun sie es nicht, werden sie in dreißig Jahren in die seelische Sklaverei gehen. Negative Altersvorstellungen, so zeigt die Forschung, führen zu selbstverschuldeter Unmündigkeit und einem Verlust an Denkfähigkeit schon im frühen Alter. Dabei hat die Forschung längst das negative Image des Alterns von Frauen und Männern korrigiert. Wir müssen, so die zentrale These dieses Buches, eine spektakuläre Kulturwende einleiten. Nicht durch ein neues Jugendbild, sondern nur durch eine militante Revolution des Bildes des eigenen Alterns gewinnt diese Gesellschaft die Chance, sich wieder zu verjüngen. Sie muss Gegenbilder schaffen: in der Kunst, im Leben, in der Wissenschaft. Die Macht, Märkte und Meinungen umzuformen, liegt bei dieser neuen Mehrheit. Dieses Buch will anhand neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zu einem Komplott gegen den biologischen und sozialen Terror der Altersangst überreden, weil nur so die Jungen eine Chance bekommen.
Ausgezeichnet mit der Goldenen Feder 2004 des Heinrich Bauer Verlages.
Autorenportrait
Frank Schirrmacher, Jahrgang 1959, Studium in Heidelberg und Cambridge, Promotion. Seit 1994 war er einer der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". 2004 sagte er dem Altersrassismus den Kampf an " für sein Buch "Das Methusalem-Komplott" erhielt er u. a. den "Corine-Sachbuch-Preis" und die Auszeichnung "Journalist des Jahres 2004". Mit "Minimum" landete er 2006 erneut einen publizistischen Coup und setzte das Thema des Jahres. 2007 erhielt er als erster Journalist den "Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache" und wurde 2009 mit dem "Ludwig-Börne-Preis" ausgezeichnet. 2009 erschien bei Blessing "Payback. Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen" und 2013 "Ego. Das Spiel des Lebens". Frank Schirrmacher verstarb am 12. Juni 2014 in Frankfurt am Main.
Leseprobe
Sie wissen es zwar noch nicht: aber Sie gehören dazu. Da Sie imstande sind, dieses Buch zu lesen, zählen Sie zu denjenigen, denen der Einberufungsbescheid sicher ist. Die große Mobilmachung hat begonnen. Im Krieg der Generationen sind Sie dabei. Sammeln Sie sich und seien Sie getrost: Sie gehören auf die Seite der Menschen, denen es in den nächsten Jahrzehnten aufgegeben ist, eine Revolution anzuzetteln.
Es klingt dramatisch, und das ist es auch. Tatsächlich ist unsere Lage unhaltbar geworden. Noch befestigen wir unsere Rettungshaken am Alltag. So schlimm, sagen wir, kann es nicht sein. Der Nachrichtensprecher liest die Nachrichten und flüchtet nicht verstört aus dem Studio. Die Redakteure schreiben ihre Leitartikel und Kolumnen. Die jungen Leute auf der Straße sind zivil und umgänglich. Mütter schieben ihre Kinderwagen. Man hört noch keine Einschläge, die Front, sagen wir, ist noch fern.
Am Horizont der Zukunft aber baut sich eine der erbittertsten Streitmächte gegen die Alten auf, die es je gegeben hat. Sie marschiert auf uns zu, die wir heute 20, 30 oder 60 Jahre sind, denn wenn der Krieg beginnt, werden wir die Älteren sein. Und die Gesellschaft, die wir geschaffen haben, nimmt dem Alternden alles: das Selbstbewusstsein, den Arbeitsplatz, die Biographie. Unsere Lebensentscheidungen basieren auf Grundrissen und Daten eines vergangenen Jahrhunderts. Gingen wir mit dem Raum so um wie mit unserer Lebenszeit, würden wir mit Postkutschen reisen.
Wir müssen jetzt handeln. Nur noch wenig Zeit trennt uns selbst von der Stigmatisierung. Bis dahin sollten wir die Vorstellungen des Alters aus der Steinzeit - wo sie jetzt sind - in die Zukunft geholt haben. Es geht um nichts weniger als eine Revolution, vergleichbar mit den großen Befreiungsbewegungen der Vergangenheit.
Im Augenblick sammeln wir noch kritische Masse. Wenn in fünf bis zehn Jahren der Punkt des Umschlagens erreicht ist, wird wie mit Zauberhand eine veränderte Gesellschaft im Gesichtskreis jedes Einzelnen erschienen sein. Wie oft berichten Menschen von der Plötzlichkeit, mit der das Alter sie wachrüttelt. Ungläubig schlägt man die Augen auf, als wäre man nicht seit Jahren vorgewarnt, und plötzlich ist man alt. So wird es unserer Gesellschaft ergehen. Die unerschütterliche Logik der Abreißkalender sagt uns, dass die Drohung mit jedem neuen Geburtstag für uns alle wächst. Und doch tun wir so, als wäre es nicht unsere Zeit, die gerade abläuft.
Es ist die Erfahrung, die Ihnen seit Kindesbeinen vom Straßenverkehr geläufig ist. Irgendwann fahren nur noch die jeweils neuesten Modelljahrgänge herum, und gerade diese Abfolge präpariert für uns das Gefühl vergehender Zeit. Der Opel Rekord von 1962, die Ente von 1968 und der VW-Käfer sind wie die Ziffern auf einem Kalender. Uns geschieht das Gegenteil: Immer mehr Menschen bleiben immer länger beieinander, und die Zeit scheint stillzustehen. Viele von uns werden gleichzeitig mit ihren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern auf der Welt sein. Zum ersten Mal entsteht etwas, was in der Evolution nicht vorgesehen, ja von ihr mit allen tödlichen Tricks verhindert werden sollte: eine nicht mehr fortpflanzungsfähige Gruppe, die ihren biologischen Zweck längst erfüllt hat, nicht mehr repariert wird und von der Natur auf Abruf gestellt wird, bildet die Mehrheit innerhalb einer Gesellschaft. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte wird die Zahl der Älteren größer sein als die der Kinder.
Sammeln Sie sich und seien Sie getrost, denn Sie gehören auf die Seite dieser Älteren. Wir alle haben die große Aufgabe unseres Lebens noch vor uns. Wir werden vielleicht schwächer sein als jetzt, aber wir werden in der Überzahl sein.
Es geht um unsere Seelen, aber es geht nicht um Sentimentalitäten. Es geht um unser Selbstbewusstsein und unsere Sicherheit und damit um die Stabilität der Gesellschaft, in der wir leben werden. Und es geht um Eigennutz auch im Interesse der kommenden Generationen. Die Diskriminierung des Alterns und des Alters wird weltweit was wir Erfahrung nennen, was uns groß und stark gemacht hat - all das zerreiben die Walzen des Alterungsprozesses. Er ist der rücksichtslose Gleichmacher. Denn was zählen vergangene Erfolge, Schönheit, Lebenserfahrung und selbst Reichtum im Zeichen des Alters? Wie die Hobbits im Auenland leben wir ahnungslos dahin, bei Spiegeleiern, Pfeifentabak und all dem, was zur Wärme des Lebens gehört. Aber am Horizont zeigt sich schon die neue Macht, die unser Leben und unsere Lebensform für immer ruinieren will.
Nehmen Sie es ernst: Es geht um die Hälfte Ihres gelebten Daseins, um eine Lebensspanne, die mindestens so lange dauert wie Geburt, Kindheit, Jugend und Ausbildung. Vergessen Sie all die Fehlalarme der letzten Jahrzehnte. »Anders als etwa bei der Klimakatastrophe, kann es keinen Zweifel geben, wann und wo das globale Altern beginnt«, schreibt der ehemalige amerikanische Wirtschaftsminister Peter G. Peterson, und die Bevölkerungsforscher geben ihm Recht. Unser Altern wird nicht gemütlich sein. Es wird keine Ohrensessel, Kaminfeuer und Vorratskammern geben. Wir können nicht zu Hause bleiben. Wir müssen losziehen, solange wir noch stark und selbstbewusst sind. Selten hat eine Gesellschaft so klar sagen können wie die unsere: Wir müssen in den nächsten 30 Jahren ganz neu lernen zu altern, oder jeder Einzelne der Gesellschaft wird finanziell, sozial und seelisch gestraft.
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